Geschichte des Brauwesens und der Brauindustrie in Bochum
Dr. Karl Brinkmann
Wie überall, so ist auch in Bochum die Brauerei ursprünglich ein Teil der Hauswirtschaft. Bier ist in alten Zeiten nicht nur beliebtes Genußmittel, es ist lebensnotwendiges Nahrungsmittel, das täglich getrunken wird. Solange die „indianischen Getränke“ – Kaffee, Tee, Kakao – fehlen, ist es neben dem teuren und in unserem Gebiet für den einfachen Mann nur an seltenen Feiertagen erschwinglichen Weine das Frühstücks-, Mittags- und Abendgetränk. Man nimmt es im frischen Zustande, aber auch in Suppen und mit verschiedenen Gewürzen zubereitet zu sich. Natürlich Ist dieses Bier mit dem heute üblichen, stark eingebrauten Stoff, der auf Grund wissenschaftlich durchdachter Arbeitsmethoden und moderner technischer Hilfsmittel in jedem Braugang völlig gleichartig ausfällt, nicht entfernt zu vergleichen. Es war ein schwach alkoholhaltiges Getränk, bei dem man Wert auf weitgehende Erhaltung der im Rohstoff vorhandenen Nährstoffe legte. „ K e u t “ (Koit) h i e ß d i e -s e s B i e r , das sich die alten Bochumer bereiteten. Darpe vermutet dahinter ein Haferbier, in Recklinghausen unterschied man im 16. Jahrhundert zwischen Keutbier, Gerstenbier und Hopfenbier. Getrunken wurde das Bier aus zinnernen „Quartkannen“ oder irdenen Krügen. Geholt wurde es beim Wirt in „Töten“, die 3 Quart faßten. Das Keut dürfte ein säuerlich schmeckendes obergäriges Bier gewesen sein, das im Geschmack dem h e u t - i g e n A l t b i e r ä h n l i c h war. Aber noch heute bereitet sich der Kenner aus seinem Altbier gern eine Bowle und tut das, was die Vorväter mit ihren Gewürzen noch gründlicher besorgten. Bei seinem geringen Alkoholgehalt und den unzureichenden Aufbewahrungsbedingungen war es sehr leicht verderblich. Oft hat das Würzen vielleicht den Sinn gehabt, den nach längerem Lagern oder durch Witterungseinflüsse unerfreulich gewordenen Geschmack zuzudecken. Wegen dieser Anfälligkeit aber mußte öfters gebraut werden. Vor allem bei feierlichen Anlässen gehörte das Bierbrauen zu den notwendigen Vorbereitungen, damit man genügend frisches Bier zur Hand hatte. Aber nicht jeder Haushalt konnte sich die kostspieligen Braukessel leisten. So wurde die Beschaffung von Braukesseln eine öffentliche Angelegenheit, sie wurde eine Sache des fürsorglichen Landesvaters, der als Besitzer der Braugerechtigkeit seinen Untertanen keineswegs umsonst gestatten mußte, ihren Bierdurst zu stillen.
Neben dieser Hausbrauerei kommt im Mittelalter auch die gewerbliche Brauerei auf und es gab bereits Biere, wie das berühmte Einbecker, die im ganzen mittelalterlichen Wirtschaftsbereich begehrtes Handelsgut waren.
Im südlichen Westfalen war das Unnaer Bier als gutes Bier bekannt Auch in unserer Stadt muß schon früh gewerblich gebraut worden sein. Das geht aus der Urkunde hervor, die Graf Engelbert II. im Jahre 1321 den Bürgern Bochums ausstellte, und die Braugerechtsame, die wie das Marktrecht, die Münze und der Geleitschutz dem Grafen zustand, erwähnt, indem er Strafe für Ausschank nicht vollen Maßes festsetzte und eine jährliche Abgabe von 1 Schilling für gewerbsmäßiges Brauen anordnete.
Später gestattete der Graf auch der Bürgerschaft, in ihren eigenen Bierpfannen Bier zu brauen. Diese Maßnahmen hatten offenbar den Sinn, den Bürgern wirtschaftlich zu helfen, ihre „Nahrung“ zu verbessern. Auf dem platten Lande durfte niemand brauen. Für das neue Privileg erhob der Graf Abgaben von der ganzen Bürgerschaft. Von diesen erfahren wir erstmalig 1349, als Graf Engelbert II. in notorischer Geldnot die Ein-künfte der Bochumer Braugerechtsame, nämlich jährlich 25 Schillinge, an den Ritter Rutger von der Dorneburg bei Eickel verpfändete. Jahrhundertelang mußte diese Summe von der Stadt an den Pfandgläubiger (später die Familie von Nesselrode auf Haus Grimberg) bezahlt werden.
Diese Bevorzugung der Städte bei Übertragung der B r a u g e r e c h t s a m e erhielt sich jahrhundertelang. Noch 1798 gibt eine amtliche Statistik für die Grafschaft Mark an, daß es an Bierbrauern in den Städten des Bezirkes 127 mit 20 Gesellen, auf dem Lande aber nur 5 ohne Gesellen gebe.
Als Zeuge für die Verwendung von Hopfen beim Brauen in der früheren Zeit mag der 1484 in einer Verkaufsurkunde (Verkauf des Hofes Evert Hasenkamp) auftretende Albert Hoppenbrouwer genannt werden. Im Testament des Vikars Johann Varrentrappe 1508 werden auch „bruvevette“, Braufässer, und die beirvette (Bierfässer) zum Nachlaß gezählt. Der geistliche Herr muß also sein Bier selbst zubereitet oder gar für den Verkauf gebraut haben. Als man nach dem Stadtbrande von 1517 an den Wiederaufbau der Kirche ging, mußte der umsichtige Schulmeister und Kirchrat Johann Theile auch regelmäßig für die am Bau beschäftigten „Mur-knechte“ brauen und sich dafür einen umfangreichen Braubetrieb zulegen. Da der eingeleitete Prozeß nachts weiter ging, trug Theile sorgfältig auch die dabei verbrauchten Lichter in das Ausgabenbuch der Kirche ein. Aus den Ankäufen für die Bauarbeiter, die Theile alle genau registrierte, können wir uns eine Vorstellung des Küchenzettels jener Zeit machen, und wir erkennen, daß die einseitige, auf Brot, Fleisch und das häufige ausgiebige Erbsengericht ausgerichtete Ernährung tatsächlich das Bier als Regulativ und zur Erhaltung der Gesundheit erforderte. Theiles Brautätigkeit verdanken wir nebenbei auch die erste Erwähnung von Steinkohlen in Bochum. „To Viuringe und des Browens“ läßt er von Bauern aus Dörfern südlich der Stadt Kohlen anfahren. Wenn ihm das selbstgebraute Bier ausgeht, läßt er eine Toite (Teute) voll beim Wirt Dirich Delscher holen, der im Hauptberuf Richter des Amtes Bochum war. Da er mit seinen Gebühren – ein Gehalt bezog er nicht – nicht auskam, verdiente er seinen Unterhalt noch nebenbei mit Bierbrauen. Einen Küfer gab es in Bochum damals noch nicht. Die Fässer, Stück- und Ohmfässer, mußte Theile aus Recklinghausen beziehen.
Im Jahre 1523 wurden zwei neue S t ä d t i s c h e B r a u k e s s e l angeschafft und man bestimmte „dat dye grote Kettel sah verdeynen 9 Denare und dye kleyne 8 Denare“. Die Einnahmen für die städtischen Braukessel wurden alljährlich zusammen mit dem Weggeld als „grote Syse“ (Akzise) verpachtet, da man mangels eigener Beamten nur auf diesem Wege die städtischen Einnahmen einziehen konnte. Die „grote Syse“ war lange die Haupteinnahmequelle der Stadt, sie brachte im 16. Jahrhundert zwischen 23 und 40 Gulden ein und wurde nur gelegentlich von der „Winsyse“, der Abgabe auf Wein, übertroffen. Neben den städtischen für den Verleih bestimmten Braukesseln gab es aber auch schon früh private, feststehende. 1649 waren es 8 und 1658 6 stehende Braukessel. Im Jahre 1664 ermittelten die märkischen Beamten bei der Aufstellung der Feuerstättenlisten, die alle Brauhäuser und Kessel gesondert erfassen und die Grundlage für die vom Reiche ausgeschriebene Türkensteuer bilden sollten, daß in der Stadt 14 Braukessel, daneben aber viele Brauhäuser ohne Kessel vorhanden waren. Für Brauhäuser ohne Kessel mußte man keine Abgaben bezahlen, diese wurden nur auf die Kessel gelegt. Offenbar muß die Steuerersparnis so groß gewesen sein, daß die Bierbrauerei mit dem entliehenen städtischen Kessel im eigenen Brauhaus billiger kam, als im eigenen Kessel, wenigstens, wenn sie nicht regelmäßig betrieben wurde. Auf dem Lande gab es damals keinen einzigen Braukessel, die Bauern mußten ihr Bier in der Stadt beziehen, was zur Folge hatte, daß in Bochum verhältnismäßig viele Wirtschaften bestanden. Die feststehenden Braukessel in der Stadt haben sicher der gewerblichen Brauerei gedient Es Ist mehr als unwahrscheinlich, daß selbst ein wohlhabender Bürger die erheblichen Anschaffungskosten und dazu noch die Abgaben für den Braukessel aufgebracht hätte, wenn er nur für den eigenen Bedarf ohne Gewinn brauen wollte.
Wie der Bauer so mußte auch der Adel in Bochum sein Bier einkaufen, so heißt es in einer Abrechnung des Verwalters des Hauses Weitmar: 2. April 1835 für den Junker an Bier lassen holen an Richter Hugenpoits Haus 6 Quart, jede Quart zu ½ Kopfstück.
Im 17. Jahrhundert wurde noch immer zwischen Bier und Keut unterschieden. 1658 kostete das erste 1 Schilling, das zweite 2 Schillinge pro Quart.
Auf dem Bier lastete im Mittelalter außer der oben erwähnten Brausteuer (Akzise) die Grutsteuer. Die Grut war ein Monopol des Landesherrn, gegen Zahlung einer Abgabe wurde die Grut, eine Würze, den Brauern verkauft. Dieses Würzmittel wurde aus den Blättern des Rosmarin mit Zusätzen von Wacholder hergestellt und vom „Gruter“, dem Inhaber des landesherrlichen Monopols abgegeben.
Die Grutgerechtigkeit wurde vom Grafen von der Mark an einen Bürger verpachtet, so am 1. 9. 1470 an Wessel Paschendael, 1510 an Thewes van der Hembecke (Märkische Registerbände), beide waren staatliche Rent-meister. Diese zogen dann ihrerseits von jedem Gebräu eine Abgabe ein.
Allmählich wurde diese Grut durch den Hopfen verdrängt, den sich jeder leicht beschaffen konnte, und der auch in den Gärten um die Stadt gezogen wurde.
Über die Mengen, die im 16. und 17. Jahrhundert getrunken wurden, sind manche märchenhafte Übertreibungen verbreitet. Immerhin waren sie sehr ansehnlich. 1634 trank ein Kohlenfuhrmann, der für die Stadt angefahren hatte, beim Abladen auf Kosten der Kämmerei 3 Quart (3,6 1). 1658 genehmigten sich die beiden Bürgermeister, sechs Ratsherren und die Achte von der Gemeinheit, also 16 Mann, bei der Jahresrechnung der Armenprovisorei 146 Kannen, und am nächsten Tage, als sie weiterrechneten, 56 Quart. Da wir ein Quart stark abgerundet als 1,2 1 ansetzen dürfen, waren es immerhin 4,8 1 auf jeden Stadtvater. 1651 aber hatten sie es noch besser gekonnt, sie hatten, „als die Rechnung abgetan“ 80 Quart, das sind runde 6 1 pro Mann getrunken, und die Stadt mußte 2 Taler und 16 Stüber dafür bezahlen. Daß es beim Bierbrauen oft sehr vergnügt herging, und daß diese Heiterkeit die Grenzen des unter gesitteten Bürgern Üblichen hart gestreift haben mag, zeigt die Tatsache, daß 1607 der Schulmeister Friedrich Raiken genannt Harpen bei seiner Vereidigung ausdrücklich verpflichtet wird, „sich mit äußerlichen Dingen, Brauens und Biergehens und sonst nicht zu belasten.“
An diesen Zuständen veränderte sich bis ins 19. Jahrhundert nichts. Noch immer standen die Hausbrauerei und die daneben eingeführte gewerbliche Brauerei, die den Bedarf des Landes und wohl auch zum größten Teil der Städte deckte, friedlich nebeneinander. Auch die gewerblichen Braubetriebe blieben klein. Ihr Umsatz schwankte und hing von Zufälligkeiten ab. Nach einer städtischen Statistik gingen 1 774 243 t und 1 775 271 t Bier aus der Stadt auf das Land. Dazu wird gemeldet: „Wegen verschiedener in diesem Jahre auf dem platten Lande gehaltenen Hochzeiten ist mehr Bier gebraut und mithin aufs Land versand worden.“ (Stadtarchiv 1 3/9)
Es ist nicht völlig ersichtlich, wie weit das Braugewerbe an andere Handwerke oder Berufszweige angelehnt wurde. Einige Zeugnisse lassen eine Verbindung mit dem Gastwirtsberuf erkennen, die auch natürlich ist. Ein amtlicher Bericht vom Jahre 1722 faßt für Bochum unter „Handwerker“ die „Bäcker und Brauer“ zusammen, deren Zahl mit 23 angegeben wird. In der Rubrik „Brauerei und Brennerei“ führt der Bericht aus: „Verbrauch an Malz 5475,25 Scheffel oder 228 Wispel 3,75 Scheffel. An Branntweinschrot 1129 Scheffel. Zwei Drittel davon mögen im Amte abgegeben sein. Die Stadt selbst hat keine Schankkrüge. 23 Privatwirtschaften. Öffentliche Braustellen nicht vorhanden, wohl 2 öffentliche Braukessel, die von einem zum andern gefahren werden. Für den jedesmaligen Gebrauch sind 22 Stüber zu entrichten; außerdem noch 10 private Braukessel, von denen an die Kämmerei 7,5 Stüber zu entrichten sind. 28 private Branntweinblasen“. Die Stadt hatte also die Braugerechtigkeit vergeben. Sie fiel 1815 mit der Einführung der Gewerbefreiheit fort. Die Bäcker versahen auch das Brauerhandwerk, und sie müssen sich je nach Bedarf der vorhandenen Kessel bedient haben. Auffallend ist, daß die Zahl der Wirtschaften sich mit der für Bäcker und Brauer angegebenen völlig deckt. Wahrscheinlich sind es dieselben. Bei den anderen Städten der Mark werden die beiden Berufe durchweg getrennt Bei Hagen werden „Brauer und Wirte“ gemeinsam aufgeführt, bei Hattingen treten die Bierbrauer als selbständige Gruppe auf, bei Hörde wiederum bilden Bäcker und Brauer einen gemeinsamen Berufszweig. Bei Lünen heißt es: „51 Bäcker worunter nur 34 backen“ und „21 Brauer, welche mehrentheils auch backen“. Für 1750 berichtete Darpe, daß 27 Bürger Brauhäuser unterhielten, manche von ihnen hatten daneben 24 Branntweinblasen. Daß der Hopfen im 18. Jahrhundert noch im Lande selbst erzeugt wurde, beweist uns die amtliche Tabelle der landwirtschaftlichen Erzeugung vom Jahre 1798. Nach ihr sind in den märkischen Städten nördlich der Ruhr, also von den an der Brauerei Interessierten, die genügend fruchtbare Böden hatten, 6 Wispel, 17 Scheffel, 12 Metzen Hopfen geerntet worden, das sind über 161 Scheffel, eine Menge, die für den Bedarf ziemlich ausgereicht haben dürfte. Ausdrücklich wird vermerkt daß „alles selbst konsumiert“ wurde. Die übrigen Gebiete der Mark, die Städte südwärts der Ruhr und die Landkreise erzeugten überhaupt keinen Hopfen. Nach Kortums Angaben wurden um 1790 in Bochum jährlich verbraucht: 1200 Scheffel Weizen und 6500 Scheffel Roggen zum Backen, 1800 Scheffel Malz zu Bier, der Branntweinverbrauch hatte sich In 13 Jahren verdoppelt.
Es handelt sich im 18. Jahrhundert immer um ein o b e r g ä r i g e s B i e r. Die Herstellung der heute üblichen untergärigen Biere war für die kleinen Braubetriebe kaum möglich, da sie die dafür erforderlichen niedrigen Temperaturen nicht erreichten. Es war ein recht mühseliger Betrieb. In den niedrigen Brauhäusern, denen jeder Abzug fehlte, stand der Brauer auf feuchtem Boden vor dem dampfenden Kessel und rührte mit einer ge-waltigen Holzschaufel unablässig den Sud, bis er zur Gärung bereitet war. Wenn man sich diese Arbeit vorstellt begreift man die Redensart „es braut sich etwas zusammen“. Das hierbei entstehende Erzeugnis hing weit-gehend in seiner Qualität von der Witterung und anderen, unberechenbaren Faktoren ab. Es mag immer ein aufregender Augenblick gewesen sein, wenn das mühsam geschaffene, neue Gebräu zum ersten Male gekostet wurde. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts setzt in Bochum wie überall eine Veränderung ein, die in den Jahresberichten der 1856 gegründeten Handelskammer deutlich wird, und die 1869 auch in einer Anmerkung formuliert wird: „Die kleinen Brauereien verschwinden immer mehr, während die größeren den Betrieb mit Hilfe der Maschinenkraft erweitern.“ Es war eine Entwicklung, die langsam, aber unbedingt vor sich ging. Die Meinen Brauer, die Einmannbetriebe, vielleicht auch Betriebe mit einem oder zwei Knechten, hatten in der Regel nur für den Verkauf in einer Schankstätte gebraut. Der schwierige Transport lohnte nur für beschränkte Mengen, die entsprechend teuer wurden. Für den alltäglichen Konsum mußte das Bier billig sein, und das war nur an Ort und Stelle der Brauerei möglich. Das Schicksal der um die Mitte des Jahrhunderts bestehenden Brauerei des Wilhelm Kabeisemann auf der Widume ist ein charakteristisches Beispiel für diesen Entwicklungsverlauf.
Kabeisemanns Grundstück lag an der neuerbauten Chaussee von Bochum über Buer nach Dorsten, unweit der Stadt. Am 16. Dezember 1848 richtete er ein Gesuch an den Magistrat um eine Schankkonzession für „sein selbst fabriziertes Bier“. Der Graf von der Recke-Volmarstein hatte, als er Landrat war, diese Brauerei angeregt und konzessioniert, weil Kabeisemann auf seinem Grundstück die königlichen Gestütspferde hielt. Aus weitem Umkreis kamen die Bauern und Fuhrleute mit ihren Stuten, und alle hatten Durst. Kabeisemann konnte sein Gebräu gut verkaufen. Nun wurden Konzessionsgesuche damals außerordentlich scharf geprüft nicht, weil man die Brauereien treffen wollte, wohl aber, um den Verbrauch an billigem Schnaps nach Möglichkeit zu drosseln. Im Schnaps sah man den wahren Volksteufel. Kabeisemanns Antrag wurde also verworfen. Die Gutachten heben zwar hervor, daß die Gefahr, „eine gewöhnliche Schnapsbudike“ zu werden hier nicht besteht, daß aber die Räumlichkeiten nicht ganz den damals üblichen oder üblich werdenden Vorschriften entsprechen, daß vor allem die Toilettenverhältnisse mangelhaft sind. Aber das ist nicht der maßgebliche Grund. Angeblich sollen die Gestütshengste nicht mehr bei ihm einstehen, die Konzession hatte aber sie als Voraussetzung und ist erloschen. Kabeisemann weist nach, daß die Begründung nicht stimmt. Darauf erhält er eine befristete Konzession nur für Bier und Wein für die Dauer der Beschälzeit. Neue Anträge, die auf die Belebung durch die Dorstener Chaussee hinweisen, werden ebenfalls abgelehnt, weil man ein durch die Chaussee entstandenes Bedürfnis verneint dann genehmigt und wieder zurückgezogen. Über diesem behördlichen Hin und Her muß Kabeisemann die Luft oder Lust verloren haben. Am 2. Juni 1851 kündigt er im „Märkischen Sprecher“ die öffentliche Versteigerung seiner Braugeräte wegen Aufhebung der Brauerei an. Die Aufzählung dieser Braugeräte und ihrer Größe ergibt eine gute Vorstellung vom Umfang und von der Leistungsfähigkeit einer solchen Brauerei. Es handelt sich um
a) einen Maischbottich, enthaltend 2846 Quart
=3372,9 1,
b) einen Würzbottich, enthaltend 621 Quart
=714,2 1,
c) vier Gärbottiche, enthaltend je 1400 Quart
=16101.
Dazu kommen einige Fässer, eine vollständige Malzdarre und sonstige Sachen, die meistbietend gegen Kredit verkauft werden sollen. Alle sind vor zwei Jahren neu angefertigt worden.
Eine solche K l e i n b r a u e r e i war also verhältnismäßig wenig leistungsfähig. Ihr Erzeugnis wurde im wesentlichen im eigenen Ausschank verkauft. Sehr oft mögen solche Betriebe auch gewechselt haben, in einzelnen Fällen blieb das Braugewerbe aber auch durch Generationen erhalten, und oft stammen aus solchen Familien gerade die Gründer der späteren Großbrauereien. Es kam jetzt die Zeit, in der Brauerei und Schankbetrieb sich immer entschiedener von einander trennten. Die Ansprüche an die Qualität des Bieres stiegen erheblich. Der Kleinbetrieb alter Art konnte sie auf die Dauer nicht mehr befriedigen. Nur der leistungsfähige Großbetrieb, der haltbares und möglichst unbegrenzt transportfähiges Bier herstellen, der einen großen Transportapparat unterhalten und die Wirtschaften laufend versorgen konnte, war dazu in der Lage. Dazu kam aber als ebenso entscheidend eine U m s t e l l u n g i n d e r G e s c h m a c k s r i c h t u n g. Statt des bisherigen, säuerlich schmeckenden und erfrischenden, aber nur der Gewöhnung dauernd angenehmen Altbieres wurde jetzt ein u n t e r g ä r i g e s G e b r ä u n a c h b a y r i s c h e r A r t verlangt. Seine Herstellung aber erfordert eine bessere technische Ausstattung, als sie dem kapitalarmen Kleinbrauer alter Zeit erschwinglich war. Durch lebhafte Einfuhr bayrischen Bieres war aber das Publikum daran gewöhnt, ein stets gleichwertiges und gleichartiges Getränk zu haben. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war es noch möglich, daß eine amtliche Übersicht über das Gewerbewesen die Brauereien noch nicht der Industrie zuzählte und am Rande abtat. Jacobi erwähnte 1857 nur beiläufig, daß es im Regierungsbezirk Arnsberg 470 Brauereien mit 713 Arbeitern gebe. Für den alten Bezirk Bochum geben uns die Jahresberichte der Handelskammer einige Auskünfte, die in einer kleinen Tabelle zusammengefaßt werden sollen. Dabei sind die alten Maße Ohm (preußisch) = 137,404 1 und Quart = 1/60 Eimer = 1,145 1 in die heutigen Maßeinheiten umgerechnet.
Jahr Zahl der Brauereien Bierproduktion
1862 — 10 303,3 hl
1863 77 20 610,8 hl
1867 58 26 578,4 hl
1868 59 25 407,6 hl
1869 50 46 828,4 hl
1872 38 87 110 hl
1873 47 121 269 hl
1879 26 123 415 hl
1881 37 -
Im Jahre 1881 werden bereits drei Brauereien als „inaktiv“ bezeichnet. Insgesamt ist der Wert dieser allgemeinen Statistik relativ, weil sie nichts über die einzelne Brauerei aussagt. Sie läßt aber deutlich die Steigerung der Erzeugung einerseits und die Konzentration der Betriebe andererseits erkennen. Aus dem Brauereihandwerk wird die Brauindustrie, die aber nicht von heute auf morgen den kleinen Betrieb wegfegt, umso weniger, als ein Großteil der kleineren Brauereien nur für einen eigenen, bei der Bevölkerung beliebten Ausschank produzierte Gerade die Brauindustrie, die eines der privatesten und von persönlichen Neigungen stark abhängiges Bedürfnis befriedigt, muß mit den Kräften der Tradition und der Gewohnheit ebenso rechnen, wie mit plötzlich auftretenden Geschmacksveränderungen. Über hohes fachliches Können hinaus muß ein fein entwickeltes psychologisches Verständnis mit am Werke sein, wenn Schäden oder Rückgänge vermieden bleiben sollen. Man muß lieb gewordene Gewohnheiten seiner Kunden achten und doch stets darauf gefaßt sein, daß ihr Geschmack wesentliche Umstellungen erfordert Das aber ist die Stärke der großen Bochumer Brauerei-en gewesen, vor allem der führenden Schlegel-Scharpenseel-Brauerei, die nicht allein die hohe Qualität ihrer Erzeugnisse, sondern auch die taktvolle Behandlung der Konsumentenwünsche groß gemacht hat.
Die Statistiken der Handelskammer lassen aber erkennen, daß die Stadt Bochum im Kammerbezirk, der auch Gelsenkirchen, Witten und Hattingen umfaßt immer ein erdrückendes Übergewicht hatte. Es gab 1879 in Bo-chum 22 Brauereien mit 67 192 hl Erzeugung gegenüber 14 im übrigen Kreise mit 44 077 h1 Bochums Erzeugung erreichte 1881 74 577 hl, die des übrigen Kreises 48 738 hl, 1885 hatte Bochum 98 473 hl erzeugt, der übrige Kreis 67 823 hl. 1887 wurden in Bochum zum ersten Male über 100 000 hl (104 339 hl) gebraut. Wit-ten stand damals mit 44 912 hl an zweiter Stelle. Die gesamte Erzeugung des Kammerbezirks im 19. Jahrhundert erreichte freilich immer nur einen Bruchteil der Erzeugung der Schlegel-Scharpenseel-Brauerei im 20. Jahrhundert. Die gewaltig gestiegene Bevölkerungszahl forderte auch die steigende Produktion. Vor allem aber mußte die Brauindustrie erst entwickelt werden.
Den ersten Versuch in dieser Richtung machte der Graf Adalbert von der Recke-Volmarstein, der Begründer des Rettungshauses Overdieck und große Menschenfreund, der von 1833 – 53 Landrat des Kreises Bochum war. Soziale Gesichtspunkte waren für ihn maßgeblich, als er auf seinem Gute Overdieck eine Brauerei anlegte. Er wollte dem Volke billiges Bier liefern, das nicht mehr auf herkömmliche Weise, sondern auf bayrische Art nach Erlanger und Augsburger Vorbild, gebraut war. Er wollte damit gleichzeitig der Geldverschwendung vorbeugen, die bei der steigenden Beliebtheit des bayrischen Bieres drohte, das eingeführt werden mußte und infolge der hohen Transportkosten natürlich recht teuer wurde. Um sein Ziel zu erreichen, mußte er einen erfahrenen Fachmann aus Bayern holen, und hier hat Graf Adalbert einen besonders glücklichen Griff getan, als er J o a - c h i m S c h l e g e l a l s s e i n e n B r a u m e i s t e r verpflichtete. Das Unternehmen auf Overdieck stand aber unter keinem guten Stern. Keineswegs war mindere Qualität des Bieres und schlechter Absatz daran Schuld. Aus rein persönlichen Gründen, wegen Schulden seines Sohnes, geriet der Graf in Schwierigkeiten. Er mußte sein Gut zerstückelt verkaufen. Joachim Schlegel aber richtete am 3. Oktober 1853 an den Magistrat ein Gesuch um die Konzession für das von ihm angekaufte Wirtschaftslokal des Maurermeisters W. Hasselkuß an der Essendischen Chaussee, der heutigen Alleestraße. Bisheriger Pächter war der Wirt Köchling, der ein Lokal an der Bongardstraße übernahm, das in seinem Saale das erste Bochumer Stadttheater beherbergte, und an dessen Stelle seine Witwe nach einem Brande die Tonhalle erbaute. Schlegel hat das Lokal gekauft, „um die darin betriebene Brauerei weiter zu betreiben“. Die behördlichen Gutachten zum Gesuch bezeugen große Hochachtung für den Overdiecker Braumeister. Selbstverständlich wird am 5. November 1853 bereits die Konzession erteilt. Schlegel wollte etwas Neues schaffen. Am 1. Mai 1854 eröffnete er die „Bayrische Bierhalle J. Schlegel“. Schon 1853 hatte M o r i t z S c h a r p e n s e e 1, der ebenfalls gute Kenntnisse der bayrischen Brautechnik einzusetzen hatte, eine Brauerei am Hellweg (Nr. 1) gegründet, am 6. Mai 1854, also fünf Tage nach Schlegel, kündigt er die Eröffnung der „Bayrischen Bierhalle Moritz Scharpenseel“ an. Das neue bayrische Bier verdrängt rasch und gründlich das bisherige obergärige Bier, ohne ihm freilich völlig das Lebenslicht auszulöschen. Die beiden neuen Brauereien entwickeln sich kräftig nebeneinander. In den 60er Jahren muß die Schlegel-Brauerei ihren Betrieb aus den zu klein gewordenen ersten Räumen auf das gegenüberliegende Grundstück Alleestraße 7 und 9 verlegen. Am 15. Januar 1870 wurden die Bochumer durch Böllerschüsse aufgeschreckt. Das Schießen hatte aber einen frohen Anlaß, man feierte die Eröffnung der Dampf-Bierbrauerei des Herrn Scharpenseel in den neugebauten Räumen an der Trankgasse.
Dabei waren die Bochumer empfindliche Konsumenten, besonders empfindlich, wenn es um den Bierpreis ging. Dann wallte die Volkswut auf. Im November 1866 wurde zu einem allgemeinen Bierstreik aufgerufen, weil der Ausschankpreis von 1 Silbergroschen auf l ¼ Silbergroschen pro Glas gesteigert werden sollte. Eine gut besuchte Versammlung beim Wirt und Brauer Aloys Laarmann protestierte bei schäumenden Krügen, das Stück zu 1 Silbergroschen, gegen die geplante Preiserhöhung. Und offenbar im Vertrauen darauf, daß die Masse es schon bringen würde, behielten Wirte und Brauer nach langen Debatten, in die auch die Herren Schlegel und Scharpenseel eingriffen, dem Beispiele Laarmanns folgend, den alten Bierpreis bei. Eine allgemeine Invasion der besänftigten, vom Bierstreik böse getroffenen Bochumer in alle Wirtschaften der Stadt war die Folge dieser weisen Nachgiebigkeit. Die Entwicklung der Brauindustrie aber ging weiter. 1866 gründeten in Langendreer die Brüder Wilhelm und Heinrich Müser eine moderne Brauerei, die raschen Aufschwung nahm. 1873 verlegte M. W. Homborg, ursprünglich „Homborg an der Trappe“ seinen Betrieb aus den alten Homborgschen Räumlichkeiten an der Beckstraße in das neue große Gebäude an der Castroper Straße. Aus diesem Unternehmen wurde 1889 die Bochumer Bergbrauerei A. G., vormals Homborg. 1874 wurde gleich im großen Maßstab mit einem Kostenaufwand von 1,5 Millionen Mark die Viktoria-Brauerei A. G. gegründet die zunächst alle Bochumer Brauereien an Größe und Leistungsfähigkeit übertraf. Noch 1900 ist das ungefähre Größenverhältnis der Bochumer Brauereien aus folgender Übersicht zu ersehen:
Name Bierproduktion im Jahr
Viktoria-Brauerei 101 647 hl
Schlegel-Brauerei 78 540 hl
Scharpenseel-Brauerei 75 000 hl
Berg-Brauerei 25 000 hl
Unterdessen war 1889 die jetzt von Wilhelm und Hermann Schlegel, den Söhnen des Gründers, geleitete Brauerei in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden. 1903 tat die Scharpenseel-Brauerei den gleichen Schritt unter Adolf und Ludwig Scharpenseel.
Das erste Bochumer Adreßbuch vom Jahre 1874/75 zeigt klar die Entwicklung der Brauindustrie. Unter den Firmen der Klasse A I = Fabriken und erhebliche Betriebe werden nur die Bierbrauereien Moritz Scharpenseel und Joachim Schlegel genannt. In der Klasse A II = Kaufleute mit kaufmännischen Rechten stehen die fünf Firmen Arnold Fiege, H. W. Homborg, Bäcker und Bierbrauerei, M. W. Homborg, Aloys Laarmann, Brüderstraße 4 und August Rietkötter, Eulengasse 9. In der Klasse B Kaufleute ohne kaufmännische Rechte wird nur noch Limbrock, Bernhard, Wwe. Brauerei genannt. Die Brauerei Aloys Laarmann ging später an Julius Withake über.
Die großen Brauereien brauten zunächst nur einen Stoff, ein goldfarbenes Bier bayrischer Geschmacksrichtung. Um die Jahrhundertwende aber brachten die Verkehrsmöglichkeiten wieder eine gründliche Geschmacksände-rung, die zwar keine revolutionäre Neuerung, aber doch eine gewisse Anpassung bedingte. Die böhmischen, die P i l s e n e r B i e r e wurden immer mehr verlangt. Also gingen auch unsere Brauereien dazu über, ein Bier nach Pilsener Art zu brauen. Einmal war das notwendig, um der Konkurrenz des eingeführten Bieres zu begegnen. Aber es gab zum anderen auch einen patriotischen Grund. Man wollte den Haßausbrüchen des tschechischen Volkes gegen die Deutschen mit einer wirtschaftlichen Maßnahme antworten. Und bald können die Zeitungen melden, daß das heimische Pilsener dem böhmischen in keiner Weise nachsteht. Die kleineren Brauereien ihrerseits versuchten keinen sinnlosen Konkurrenzkampf gegen die großen. Sie beschränkten sich wenigstens zum Teil auf Spezialbiere, Altbier und Malzbier, und ergänzten so die Erzeugung der großen Brauereien. Die Erzeugung von Altbier stieg zwar absolut, geriet aber im Verhältnis zum untergärigen Bier sehr ins Hintertreffen. 1885 betrug die Altbiererzeugung in Bochum 4,6% der Erzeugung an bayrischem Bier, 1886 nur 3,6%, 1887 wieder 4% und 1889 nur 3,7%. In der Folge geht der Anteil noch weiter zurück, ganz verschwindet das obergärige Altbier als erfrischendes Getränk an heißen Sommertagen nicht.
1907 gab es in Bochum noch acht Brauereien. Es waren 1. die Bergbrauerei A. G., Castroper Straße, 2. die Bochumer Bierbrauerei Moritz Scharpenseel A. G., Trankgasse, 3. die Schlegel-Brauerei A. G., Alleestraße 7, 4. Arnold Fiege, Castroper Straße, 5. Johann Knühl-Fiege, Ringstraße 25, 6. die Viktoria-Brauerei A. G., Castroper Straße, 7. Wwe. August Rietkötter, Inhaber Theodor Rietkötter, Eulengasse 9 und 8. Julius Withake, früher Aloys Laarmann, Brüderstraße 4. Im Landkreis gab es die große Müser-Brauerei, die 1899 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war, und die kleinere Ümminger Brauerei Wwe. Mittelstraß. Diese war ursprünglich Familienbesitz Köster gewesen und hatte eine gewisse Rolle im Landkreise gespielt. Aber im 20. Jahrhundert war ihre Anlage veraltet, und es fehlte an Kapital zur Modernisierung. Verschiedene Versuche zur Belebung schlugen fehl. 1910 erscheint sie als Allemania-Brauerei A. G. in Ümmingen im Jahresbericht der Handelskammer. Diese Gründung erwies sich aber auch als Fehlschlag. Sie wurde dann vom Wirteverein Bo-chum als Westfälische Zonenbrauerei betrieben, konnte sich jedoch nicht behaupten, da es auch jetzt am notwendigen Kapital fehlte. Im Jahre 1912 wurde sie nicht mehr erwähnt, sie muß also damals eingegangen sein. Bis zum ersten Weltkrieg entwickelte sich auch in Bochum die Brauindustrie rasch und glänzend. Der Krieg und die folgende Zeit aber wurden eine schwere Bewährungsprobe, wenn auch noch nicht die katastrophalen Zu-stände eintraten wie nach dem zweiten Weltkriege. Mangel an Rohstoffen, unvermeidliche Minderung des Gehaltes und der Qualität der Erzeugnisse und entsprechende Absatzrückgänge machten nach dem ersten Weltkriege Konzentrationen und Fusionen notwendig, wenn die alte Leistung wieder erreicht werden sollte. 1918 wurden die beiden ersten großen Bochumer Brauereien, die S c h 1 e g e l– u n d d i e S c h a r p e n s e e l – B r a u e r e i vereinigt. 1928 wurde auch die Viktoria-Brauerei in Bochum angegliedert. Weiter kamen die Recklinghäuser Aktienbrauerei vormals Pott und Göbel, die Ruhrtal-Brauerei Brinkmann in Herbede, die Hohenstein-Brauerei G. m. b. H. in Werden, das Bürgerliche Brauhaus Herne und einige kleinere Brauereien hinzu. Ein großer, leistungsfähiger Betrieb, der mit allen Mitteln moderner Wissenschaft und Technik ausgerüstet war, entstand hierdurch, dessen Erzeugnisse bald Weltruf erlangten, und der in der westfälischen Brauindustrie gewichtig neben den Brauereien der Nachbarstadt Dortmund stand. In seinem größten Betrieb in Bochum und in den beiden Zweigbetrieben in Herne und Recklinghausen erzeugte er eine Reihe von Stoffen, die jeder Geschmacksrichtung gerecht wurden, wie „Schlegel-Gold“ „Deutsch Schlegel-Pilsner“, „Schlegel-Märzen“, „Schlegel-Bock“ und das schwach alkoholhaltige, aber nährstoffanreichernde Malzbier „Lebens-bronn“. Dazu kamen noch „Scharpenseel-Doppel-Bock“ und die Sondermarken „Edel-Alt“ „Westfälisch-Alt“. In gleicher Weise entwickelten sich auch die M ü s e r – B r a u e r e i u n d d i e L ö w e n b r a u e r e i F i e g e, die ebenfalls die verschiedenen Geschmacksrichtungen berücksichtigten. Die kleineren Brauereien, soweit sie nicht fusioniert wurden, allerdings überlebten die Schwierigkeiten zweier Weltkriege und der Krisenjahre nicht.
Die letzten Jahre bis zum zweiten Weltkrieg brachten insgesamt auch der Bochumer Brauindustrie mit der allgemeinen Wirtschaftsbelebung einen großen Auftrieb. Umso schwieriger wurden die letzten Kriegsjahre und vor allem die Jahre nach der Katastrophe von 1945. Schwere Kriegszerstörungen hatten vor allem die Brauereien der Innenstadt getroffen. Große Anstrengungen wurden gemacht und Opfer gebracht, um die Bevölkerung we-nigstens mit Ersatzgetränken zu versorgen. Aber das Brauverbot, die Einführung überhöhter Steuern selbst auf die bierähnlichen Getränke unseligen Andenkens, Schwierigkeiten in der Grundstoffbeschaffung, Mangel an Fässern, Flaschen, Stahl, Holz und allem, was lebensnotwendig war, drückten die Erzeugung derart, daß alle Brauereien vor der Stillegung, die Brauindustrie vor dem Ende stand. Die bierähnlichen Getränke konnten sowieso begreiflicherweise nichts weniger als volkstümlich werden. Umso höher ist die erstaunliche Leistung der heimischen Brauindustrie zu bewerten, die nach der Währungsreform in unabläßlichem Bemühen trotz großer Anfangsschwierigkeiten den Vorkriegsstand in Qualität und Vielseitigkeit des Angebotes wieder erreichte.
Ein schwieriges Problem blieben die überhöhten Biersteuern. Sie sind ein altes Problem. Schon 1881 erschien im Märkischen Sprecher am 5. Mai folgender Aufruf des deutschen Brauereiverbandes:
„An alle Freunde des Bieres, des deutschen Nationalgetränks! Zum sechsten Male soll den Vertretern des deutschen Volkes ein Gesetzentwurf wegen Erhöhung der Biersteuer vorgelegt werden. Fünf Mal ist diese Zumuthung energisch zurückgewiesen worden. Wird es auch diesmal geschehen? Wir hoffen es zuversichtlich. Dennoch aber wollen wir unsere Stimme erheben gegen ein Gesetz, das so unpopulär ist, wie eine Steuer auf das tägliche Brot sein würde. Bier ist flüssiges Brot. Außerdem hat es eine hohe Bedeutung für unser sittliches Leben: Es Ist der Feind des Branntweins!“
Wir mögen lächeln über den pathetischen Ton dieses Aufrufes. Aber das Lachen vergeht uns angesichts der Steuersätze, die später und vor allem nach dem zweiten Weltkrieg eingeführt wurden. Es ist hier nicht der Platz, die Notwendigkeit solcher Steuern zu diskutieren. Gar kein Zweifel aber kann sein, daß die Gefahren, die 1881 aufgezeigt wurden, auch heute noch unvermindert bestehen, denn Bier ist wahrhaft Volksgetränk, und das Ausland hat keinen Anlaß, darüber zu schmunzeln, da es durchweg das Bier gleich uns bewertet. Angesichts dieser Problematik aber bleibt die Leistung der heimischen Brauindustrie umso beachtlicher. Nur die vorzügliche Qualität des Bochumer Bieres vermochte trotz steuerlicher Ungunst den Ausstoß so zu halten und zu entwickeln, daß das Bochumer Brauwesen heute wieder ein wesentlicher Faktor des heimischen Wirtschaftslebens ist und längst wieder überlokale Bedeutung hat.
Von den einst so zahlreichen Bochumer Brauereien sind nur drei über beide Weltkriege und Krisen hinweg lebensfähig geblieben, wobei allerdings zu berücksichtigen ist daß einige große in Fusionen weiterleben. An er-ster Stelle steht die S c h l e g e l – S c h a r p e n s e e l – B r a u e r e i , die im wesentlichen mit allen Kriegsschäden fertig geworden ist und heute unter ihrem Generaldirektor Hoevelhaus zu den führenden Brauereibetrieben Westdeutschlands gehört. Ihr Ruf geht weit über das Ruhrgebiet hinaus und dringt mit den in besonderer Anlage tropenfest gemachten Bieren bereits wieder über die Weltmeere. Das Firmenzeichen der drei Schlegel begegnet dem Bochumer in fast allen Teilen Deutschlands als freundlicher Gruß der Heimat. Ein weiterer moderner und technisch leistungsfähiger Betrieb ist die Müser-Brauerei A. G. in Langendreer. Ihre weitläufigen, großzügigen Anlagen und die energische Bemühung der Betriebsleitung, die sich alle Er-rungenschaften moderner Brautechnik zu eigen macht, sichert ihr eine angesehene Stellung im Kranze der berühmten westfälischen Brauereien und eine Bedeutung, die längst weit über die Grenzen Bochums hinausgeht. Als dritte besteht die einzige private Brauerei Bochums, die aus dem Unternehmen Johann Knühl-Fiege hervorgegangene und heute v o n M o r i t z K n ü h 1 - F i e g e g e f ü h r t e F i e g e – B r a u e r e i, die den Löwen im Firmenzeichen führt. Als gesundes Unternehmen hat sie durch ihre Spezialbiere in der Bevölke-rung Bochums und darüber hinaus einen geachteten Namen und einen treuen und zuverlässigen Kundenkreis, der nicht nur ihr weiteres Bestehen, sondern auch einen weiteren Aufschwung sichern kann. Daß dieses Ziel erreicht wurde, ist umso beachtlicher, als auch diese Brauerei schwer unter Kriegsschäden gelitten hat.
Zusammenfassend dürfen wir feststellen, daß Bochum heute unter den Brauereistädten Westfalens und Westdeutschlands einen bekannten Namen hat. Für die Stadt und ihr Wirtschaftsleben aber bedeutet die rege Brauindustrie mit ihrer überlokalen Reichweite eine wertvolle Ergänzung und einen Ausgleich gegenüber der leicht eintretenden Einseitigkeit wirtschaftlicher Betätigung. Eine ansehnliche Zahl Bochumer findet in der Brauindustrie ihren Lebensunterhalt. Der früher oft zitierte Dreiklang Bochumer Wirtschaft, Kohle, Stahl und Bier ist doch mehr als nur ein Werbespruch.
1954 Bochum Ein Heimatbuch
6. Band
Herausgegeben von der Vereinigung für Heimatkunde E.V.
Druck und Verlag:
Märkische Vereinsdruckerei Schürmann und Klagges – Bochum 1954