Der Freihof, die älteste Gerichtsstätte in Bochum

 

Dr. Günther Höfken

 

Dort, wo sich heute der Neubau des Schuhhauses Voswinkel an der Kortumstraße erhebt, lag noch vor 150 Jahren ein altes Fachwerkhaus, das mit seinen geschnitzten Eichenbalken das Gepräge eines ansehnlichen Pa-trizierhauses bot. Es war der Freihof. Seinen Namen führte er wohl schon seit dem frühen Mittelalter, im 16. Jahrhundert wurde er auch häufig als Frithof bezeichnet; dieser Name deutet auf seine uralte Bestimmung hin, es war ursprünglich die gefreite Stelle, wo der von der Privatfehde Verfolgte Schutz suchen konnte, bis der Streit von der Sippe des Friedensbrechers in Verhandlungen mit dem Gegner beigelegt war. Solche vrithöfe waren also unter dem Schutze des Königsfriedens stehende Orte. Niemand durfte den Frieden dieses Ortes brechen, ohne sich besonders hoher Strafe auszusetzen. Diese Freistätte war später Sitz des Grafengerichts, des alten Gerichts der Freien. Vor ihm vollzog sich die Auflassung von Freigut, und es wurden hier die schweren Vergehen gegen den Landfrieden unter Königsbann an Hand und Hals gesühnt; hier „in den bongarden“, in den alten Baum-gärten, wonach die Bongardstraße ihren Namen führt, wurde „an dem freyenstole“, dem Freienstuhl, wie die Bank des Gerichts noch 1485 hieß, jahrhundertlang Recht – namentlich auch in den Zeiten der Feme – gespro-chen.

 

Nachdem die Freigerichte sich überlebt hatten, behielt der alte Gerichtssitz seine Bezeichnung Freihof bei. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts sind wir über ihn durch Urkunden näher unterrichtet. Er war seit dieser Zeit Wohnsitz namhafter Bochumer Juristen.

Damals gehörte er der F a m i l i e v o n d e r H e m b e c k e , Wessel v. d. H. – 1534 in die Bürgerschaft aufgenommen, von 1553 bis 1557 erster Bürgermeister der Stadt – wohnte in dem von der Bongardstraße weit zurückliegenden, auf der alten Freistatt errichteten Haus. Er hatte dem stets in Geldnöten steckenden Landesherrn 100 Goldgulden geliehen und erhielt dafür am 20. 5. 1557 die Anwartschaft auf das R i c h t e r - a m t des großen Amtes Bochum, das er dann von 1557 bis Anfang 1574 innehatte. Verheiratet war er in erster Ehe mit Ursula von Westerholt, in zweiter Ehe mit einer von Hugenpoth. Sein Vater war der Bochumer Bürger Mattheus van der Hembecke, er war von 1518 bis 1529 staatlicher Rentmeister, verwaltete also die staatlichen Ländereien und Einkünfte aus dem Amte Bochum und dem Gericht Castrop. Er war der Halbbruder der Margarete Paschendal, deren Vater Wennemar Besitzer des Schultheißenhofes und dadurch Stadtrichter (1482 – 1497) gewesen war. Da seine Erbin Margarete dieses mit dem Schultheißenhofe verbundene Amt nicht ausüben konnte, wurde Mattheus von der Hembecke vom Herzog mit der Ausübung des Richteramtes beauftragt er nannte sich „Statthalter und Schulte zu Bochum“, bis 1514 Margarete Paschendal Hof und Stadtrichteramt an den staatlichen Rentmeister Gerhard von Bodelschwingh (nicht adlig) in Essen abtrat.

 

Nach dem Tode des Wessel von der Hembecke ging der Freihof auf seine Tochter Klara über, die mit dem Adelsbastard Reinhard Berswordt., Sohn des Adrian von Berswordt auf Haus Bärendorf in Weitmar-Bärendorf verheiratet war. Nach dem Tode seines Schwiegervaters (1575) zog Reinhard auf den Freihof. Als Sproß einer angesehenen Adelsfamilie hatte er es trotz unehelicher Geburt nicht schlecht, ganz im Gegensatz zu dem heutigen Schicksal der Unehelichen sorgte man in der damaligen Zeit von der Familie des Vaters her gut für sie, ließ sie auch seinen Namen führen mit dem Zusatz Bastard. Reinhard Berswordt lebte in guten Vermögensverhältnissen, wie aus verschiedenen Urkunden der Jahre 1560 und 1573, worin er über Ländereien verfügt, zu schließen ist. Am 6. 7. 1584 erwarb er den neben seinem Hause liegenden Bongardhof von dessen Pfandgläubiger Christoph von Schell für 800 Taler. Als Berswordt 1585 starb, war seine einzige Tochter Margarete noch minderjährig, zu ihren Vormündern wurden Johann Springorum und Bernhard von Sodingen bestellt. Sie verkauften am 30. 3. 1589 für ihr Mündel an die Eheleute Dietrich und Anna Püttmann in Altenbochum „das oberste und niederste Breloh“. Diese Ländereien waren, wie der Name breloh = bredde loh = breites Waldstück besagt, ein Busch, der sich von der heutigen Schule an der Buselohstraße bis zum Gelände der Zeche Prinz von Preußen in Altenbochum erstreckte (altes Kataster Flur I 74, 77, 78). Ein daran anschließendes Waldstück (Flur I 75, 76) veräußerten die Vormünder am 6. 5. 1591 an die Eheleute Gerhard und Katharina Springorum. Dieses Breloh wird in Urkunden häufig als Lagebezeichnung genannt, ein Schlagbaum an der Bochumer Grenzlandwehr führt z. B. 1450 und 1553 die Bezeichnung Bredeloh-Baum. Die verkauften Stücke hatte der Großvater Wessel von der Hembecke von dem Johann von Grimberg genannt von Aldenbockum auf Haus Wiesche gekauft, dessen Vorfahren in Altenbochum einen später verschwundenen Rittersitz errichtet hatten.

Margarete Berswordt heiratete Arnold Rademacher, Sohn des Unnaer Bürgermeisters. Die Eheleute Rademacher veräußerten am 23. 7. 1601 den Freihof an die Eheleute Johann Velthaus, der Rechten Licentiaten, und Gertrud Grimmolt. Dr. Velthaus (Velthuis) war Prokurator (Rechtsanwalt) und zeitweise erster Bürgermeister in Bochum (1595 – 1597), seine Frau entstammte einer angesehenen Essener Familie, ihr Vater Anton Grimmolt war Ratsherr in Essen und zugleich staatlicher Rentmeister der Rentei Bochum, was für die Bochumer viele Ungelegenheiten und Botengänge nach Essen zur Folge hatte. Ab 1597 übernahm Velthaus die Geschäfte des Rentmeisters für seinen altersschwachen Schwiegervater. Er trat zum Luthertum über. Um 1640 erwarb den Freihof der Prokurator und Syndikus der märkischen Ritterschaft Dr. jur. Bertram Hillebrand Kumpsthoff, nach seinem Tode ging der Hof in der Erbteilung (1669) auf seinen Sohn, den Syndikus Heinrich K. über: der Fryhoff by der Stadt Bochum, nämlich Haus, Scheuer, Stallung, Garten hinter dem Hause, Baumgarten, Platz und ein Garten über der Straße. Da K u m p s t h o f f auch den nebenangelegenen Bongardhof und den gegenüber liegenden Stodthof von der Essener Äbtissin erworben hatte, verfügte er über ansehnlichen Grundbesitz, den er teils vom Freihof aus bewirtschaftete, teils verpachtet hatte. Seine Tochter Anna Elisabeth heiratete den Advokaten Dr. jur. Anton L e n n i c h und brachte ihm später als Erbin die drei Höfe zu. Lennich, von 1707 bis 1712 Bürgermeister der Stadt, wohnte auf dem Freihof. Er vermachte den Bongardhof seiner Tochter Theodore, verheiratet mit dem Advokaten Bordelius, und die beiden anderen Höfe seinem Sohn Gerhard Henrich, der mit Henriette Mechthild Beckmann aus Essen vermählt war. Ihr Sohn Gerhard Willebrand Lennich stand von 1764 – 1772 als erster Bürgermeister an der Spitze der städtischen Verwaltung; 1772 ging er als Amtmann nach Rheinberg, war später königlicher Kammerrat in Kleve und lebte im Ruhestand auf Haus Bönninghausen bei Eickel, das seit dem 17. Jahrhundert der Familie Kumpsthoff gehört hatte. Im Jahre 1804 veräußerte er den Freihof für 3 400 Rtlr. nebst Scheune, Garten, und „anstoßendem Wassergraben und Erdfang“ (dem Rest des anliegenden alten Stadtgrabens) an die kath. Kirchengemeinde.

P f a r r e r M o r i t z F i e g e zog aus der baufällig gewordenen Widume, dem alten Pfarrsitz an der Widumestraße, aus und nahm Wohnung im Freihof.

 

Nach dem Einzug der Industrie in das Landstädtchen Bochum wurde das Gelände des alten Freihofes für die Bebauung aufgeschlossen. Die Hochstraße wurde angelegt (1869) und ein großes Stück des Hofes zur Straße genommen, das Haus selbst wurde verkauft und verschwand als Hinterhaus hinter einem zur Straßenfront errichteten Geschäftshaus des Uhrmachers Blumenkemper. In dem südlich davon gelegenen Freihofgarten wurde von der katholischen Kirchengemeinde 1871/72 ein neues Pastorat erbaut, das später wieder veräußert und auf dem Gelände der alten Rentei an der Bleichstraße neu erstand. Den Rest des Freihofgartens nimmt heute das Warenhaus Kortum ein. Mit dem Bombardement der Altstadt am Pfingstsamstag 1943 sank auch der ehemalige Freihof in Trümmer und nur der hochragende Kamin blieb als letzte Erinnerung an ein Stück Altbochums stehen, bis auch er 1950 mit der Enttrümmerung des Platzes und dem Neubau Voswinkel verschwand.

 

Impressum

1954 Bochum Ein Heimatbuch

6. Band

 

Herausgegeben von der Vereinigung für Heimatkunde E.V.

 

Druck und Verlag:

Märkische Vereinsdruckerei Schürmann und Klagges – Bochum 1954