Der Baron Johann Friedrich von Syberg

und der Konkurs des Hauses Kemnade

vor 200 Jahren

 

August Weiß

 

Die grauen Mauern der Burgen und Ruinen auf unsern benachbarten Höhen und in den Talbreiten richten unaufhörlich an den sinnenden Menschen die Frage nach dem Wann und dem Wie des Lebens, das sie einst um-schlossen und auf das sie herniederschauten. Dann treten freilich nicht immer papierne und pergamentene Zeugnisse Antwort gebend dem Fragenden entgegen. Große Schwierigkeit bot u. a. die genaue Klärung der Vergangenheit Kemnades, da das Hausarchiv verloren ist und in den preußischen Staatsarchiven keine Archivalien von Kemnade, das ein lippisches Lehen war, zu finden sind. Nach langem Suchen ließen sich endlich reichhaltige Akten und Urkunden zur Geschichte Stiepels und seines Herrenhauses im Lippischen Landesarchiv feststellen. Aus der Fülle der wertvollen Geschichtsquellen sei ein Abschnitt herausgegriffen, der uns die behäbige Wasserburg vor 200 Jahren in drückender wirtschaftlicher Not zeigt, so daß der Kemnadische Besitz unter den Hammer kam.

 

Um das Jahr 1700 war F r i e d r i c h M a t t h i a s v o n S y b e r g Herr zu Kemnade und Gerichtsherr über Stiepel. Sein Vater, dessen ererbter Besitz in Wischelingen lag, und der während des 30jährigen Krieges (1639) zum Drostenamt in Blankenstein gelangt war, hatte die Sybergische Dynastie im „Königreich Stiepel“ begründet. Denn die Erbin des letzten Herrengeschlechts, die Tochter Wennemars von der Recke, war seine Gemahlin, und der Reichsgraf zur Lippe hatte ihm 1652 die Belehnung mit dem uralten Reichsafterlehen an der Ruhr erteilt; für die Investitur mußte Syberg allerdings 700 Taler bezahlen. Schon unter den Söhnen dieses ersten

Syberg auf Kemnade war es zu Besitzstreitigkeiten und gerichtlichen Austragungen gekommen, weil die beiden jüngeren Brüder des Freiherr Friedrich Matthias, nämlich Dietrich Wilhelm Abraham, dem Wieschelingen, und Johann Adolf, dem Marten zugefallen war, auch ihren Anteil an dem fetten Bissen des Stiepeler Erbes begehrten. Der weitläufige Prozeß wurde im Herbst 1690 durch den zum kurbrandenburgischen Kommissar ernannten Richter von Bochum beendet und dahin entschieden, daß „das Haus Kemnade, die Herrlichkeit Stiepel, der Hoff Stiepel mit der adeligen Bauwet (das unmittelbar an die Wohnstätte anschließende Gelände, die Hofesaat), Wiesen, Weiden, Mühlen und Gehölz mit allen lehnszugehörigen Stücken nicht dividieret, zerrissen oder versplissen werden, sondern dem Erstgeborenen in der Erblinie ganz verbleiben und die übrigen, sowohl Söhne als Töchter, auf andere Weise abgegütet werden sollten.“ Der Baron Friedrich Matthias hatte die Geschlossenheit seines Besitztums gerettet. Er ahnte wohl nicht, daß gerade sein ältester Sohn das an sich reiche, ertragfähige Gut in die neue Gefahr der Zersplitterung, ja des völligen Untergangs bringen könnte. Er selbst der noch die letzten Schrecken des 30jährigen Krieges im Ruhrtal, in Stiepel, in Herbede und vor allem in Kemnade mit durchlebt hatte, suchte wieder aufzurichten, was der große Kriegsjammer an Trümmern noch zurückgelassen hatte. So vollendete er auch den Bau der Burg Kemnade, indem er dem von seinem Vater und dessen Vorgänger und Schwiegervater Wennemar von der Recke errichteten Hause das obere Stockwerk und das Dach aufsetzte und dem Herrensitze die Gestalt gab, die er heute – abgesehen von den neuen Wirtschaftsgebäuden – noch hat. Nach einem an Sorgen und Arbeit reichen, ehrbaren und gottesfürchtigen Leben hinterließ er 1711 sein kleines, aber wohlgeordnetes Herrschaftsgebiet, die Herrlichkeit Stiepel samt der Burg Kemnade, seinem unmündigen ältesten Sohne, dem B a r o n J o h a n n F r i e d r i c h während dem zweiten Sohne Johann Georg das Gut Wischelingen von dem kinderlosen Oheim Abraham zugesichert war. Damit setzte nun der wirtschaftliche und finanzielle Rückgang des reichen Herrengutes ein, und Irrungen und Wirrungen brachten Kemnade nach kaum einem Menschenalter an den Rand der völligen Auflösung.

 

Der junge Baron, der bei dem Tode seines Vaters 14 Jahre alt war, stand zunächst unter der Vormundschaft seines Oheims Dietrich Wilhelm Abraham von Syberg zu Wischelingen. Seine Erziehung stand jedoch unter den nachsichtigen Augen seiner recht weitherzigen Mutter Christine Isabella, geborene von Romberg zu Massen und Töddinghausen. Der Jungfreiherr wußte den Wert des Geldes nicht zu schätzen. Nach der Gepflogenheit vieler seiner Standesgenossen waren ihm noble, kostspielige Passionen ein dauerndes Lebensbedürfnis. Zu wieviel Lebensfreuden hatten die Kavaliere des 17. und 18. Jahrhunderts nicht das Geld und immer wieder Geld nötig? So ein Tageslauf mit Stoßdegen, Perrücke, Kniestrümpfen und buntem Frack kostete mehr, als wochenlange Arbeit hinter dem Pfluge einbringen konnte. Reisen, die die jungen Adligen als Abschluß ihrer Geistesbildung unternahmen, Gesellschaften, Maskeraden und Schäferspiele, die dem Rokokozeitalter angepaßten affaires d‘honneur et affaires d‘amour, das Spiel um hohen Einsatz und andere Dinge füllten das Leben so vieler Ka-valiere aus und verzehrten rasch den Besitz und die körperliche und geistige Kraft des Besitzers. Die adligen Grundherren auf dem Lande suchten es im Aufwand von Prunk vielfach den Serenissimis und diese den großen Fürsten, wohl gar dem französischen König in Versailles, gleich zu tun. So räumte die Sturzflut einer plötzlich hereinbrechenden Verschwendung den ererbten oder zusammengetragenen Reichtum manches Adelshofes in kaum einem Menschenalter hinweg. Nach seiner Mündigkeitserklärung trat Johann Friedrich von Syberg als „Dynastes et baro in Stiepel“ noch anspruchsvoller auf. In großen Geldausgaben wetteiferte er mit den reichen Herren zu Bruch, seinen Nachbarn ruhrabwärts, die auch Kliff am Hattinger Ruhrübergang, Sünsbruch, Oedental und andere Lehen ihr Eigen nannten. Und wie die Herren von Heiden zu Bruch und Kliff, namentlich der jüngste der drei Brüder, Ferdinand Sigismund Wennemar, der Erbauer des an der Hattinger Bahnhofstr. Gelegenen Tores zum Kliffer Burggarten, das reiche Erbe rasch zum Zusammenbruch führten, so verschleuderte der junge Stiepeler Baron den Kasseninhalt seines Hauses und belastete ein Stück nach dem anderen aus der langen Reihe der Kemnadischen Gutsstücke. Die Baronin – Mutter Christine Isabella – hatte nicht vermocht, ihren Sohn zu der sparsamen Lebensweise seines Vaters zu erziehen. Jetzt mußte sie mit ansehen, wie das stattliche Besitztum, das ihr Gemahl eben erst in geordnete Verhältnisse gebracht hatte, Stufe um Stufe herabsank; ja sie sah sich genötigt, zu mancher vollendeten Tatsache, vor die ihr leichtfertiger Ältester sie stellte, ihr Einverständnis zu geben. Der Jungbaron lieh eine Summe nach der anderen, unterzeichnete Schuldverschreibungen an diesen und jenen, verpfändete Äcker, Wiesen, Weiden mit der Bekräftigung, daß diese Güter sein persönliches Eigen, Allod und nicht Lehnsgüter, Feuda, wären, zu deren Beleihung das Einverständnis des Lehnsherren und seiner Erben hätte eingeholt werden müssen. In der klaren Erkenntnis der Unwahrheit bei vielen dieser angeblich allodialen Verpfändungen ließ sich die alte Baronin herbei, ihren eigenen Namen und sogar den ihres zweiten Sohnes neben die Unterschrift ihres unzuverlässigen Erstgeborenen zu setzen. So war denn der Erbherr zu Kemnade, der zur Eheschließung keine Gelegenheit, zu noblen Passionen dagegen viel Muße fand, als Schuldenmacher bald weithin bekannt bei Adligen und Bürgerlichen, bei Christen und Juden.

 

Am meisten Kredit hatte ihm sein Vetter und Standesgenosse, der Leutnant von Elverfeldt eingeräumt. Dieser Edelmann, dessen Mutter eine geborene von Syberg und dessen Oheim der Herbeder Gerichtsherr war, bewohnte das Haus Schellenberg in Herbede. Aus dem preußischen Heeresdienste hatte er sich zurückgezogen und bewirtschaftete seinen Gutsanteil. Von seinem nicht geringen Vermögen, das er vorsichtig zusammenhielt, lieh er dem geldbedürftigen Nachbarn auf Kemnade 6300 Reichstaler gegen die nötige Sicherheit Johann Friedrich gab nämlich für die Schuldsumme eine der besten Stiepel-Kemnadischen Weiden als Pfand, den „Stiepeler Platz“ unterhalb Blankensteins in der Nähe von Kemnade gelegen. Das Grundstück war viele Tausend Taler wert, rentierte sich jährlich auf 300 Reichstaler und ernährte 30 Kühe. Diese Verpfändung zeigte deutlich die Unbekümmertheit, mit der der Baron mit seiner Väter Erbe umsprang. Der Stiepeler Platz gehörte zu den Lehensgütern; Johann Friedrich gab ihn als Allodialgut aus; ja die Weide war sogar ein Stück der „adeligen Bauwet oder Hofesaat“, also des eigentlichen engeren Hofgeländes. Unter dem Schwergewicht des einmal begonnenen Schuldenmachens glitt der leichtfertige Edelmann auf der abschüssigen Bahn immer tiefer. Von dem Juden Gumbert, dessen Wohnsitz in den Akten nicht genannt ist, ließ er sich mit 5000 Reichstalern aushelfen. Natürlich verlangte Gumbert eine Hypothek und erhielt sie in der Obligation auf Grundstücke und auf die Papiermühle am Bache, der von Sprockhövel kommt (Hammertal). Der Doktor, der Rechte Westhofen in Hamm erklärte sich bereit, neue Verbindlichkeiten des Freiherrn mit 2500 Talern zu decken, wenn ihm selbst hinreichende Deckung geboten würde. Bedenkenlos stellte der adlige Debitor die zweite seiner besten Weiden, die „Dörmanns Weide“ zur Verfügung, die sich von der Herbedischen Grenze bis an den Kemnader Baumhof hinzog und zur Haltung von 30 Kühen ausreichte. Bewußt täuschte Johann Friedrich seinen Geldgeber, indem er auch diesen Besitz als volleigen, allodial, ausgab, obwohl er zum Kemnadischen Lehen gehörte. Auch die Baronin Christine Isabella unterzeichnete die Schuldverschreibung, ebenso ihr zweiter Sohn Johann Georg zu Wischelingen, da sich der Geldgeber wohl mit der Unterschrift des unsicheren, wenig vertrauenswürdigen Barons Johann Friedrich nicht zufrieden geben mochte. Dabei konnte weder den Baronen, noch ihrer Mutter der Unterschied zwischen allodiaen und feudalen Gütern unbekannt sein. In Auswirkung dieser Verpfändung hätten die Grundstücke bei späterer Zahlungsunfähigkeit doch veräußert und der Kemnadiscbe Lehnsbesitz aufgeteilt werden müssen. Das widersprach sowohl den allgemeinen Lehnsgesetzen, als auch im besonderen der Bochumer Entscheidung über Kemnade vom Jahre 1690. Den Erbherrn auf Kemnade bekümmerten indes solche Rechtsfragen der Vergangenheit und Gegenwart ebenso wenig, wie die Entscheidungsfrage nach dem Schicksal des Gutes in der Zukunft. Auf dem lustig bewegten Meere des Kavalierdaseins segelte er bedenkenlos dahin, und wenn sein Lebensschiff durch allzu ungestümen Ansturm seiner Kleingläubiger eine empfindliche Schlagseite erhielt, so suchte und fand er neue Gläubiger größeren Stils, die sich dann durch Verschreibung Kemnadischer Güter sicherten. Die Mutter deckte nachsichtig und weiten Gewissens die anfechtbaren Unternehmungen ihres Sohnes. So wurde die Liste der Kreditoren Johann Friedrichs immer länger und die Schuldsumme immer größer. Ein Professor Pagenstecher gab 3000 Reichstaler; die Erben Cramer in Schwelm sprangen dem Sinkenden mit 3500 Talern unter die Arme, die Erben Dornseiff mit 1500; der Bürger Trinthamer zu Sprockhövel lieh dem Baron 1000 Taler; der Vogt zu Mengede wurde um 4500 Taler von Johann Friedrich erleichtert. Als dieser am Ende seines kurzen Lebens – er starb mit 41 Jahren – den Schlußstrich unter seine Schuldsumme setzte, las er die Zahl von 27300 Talern. Das war ungefähr so viel, wie das Allodialvermögen der Familie von Syberg ausmachte.

Je höher die Schuldsumme stieg, desto besorgter wurden die Geldverleiher. Die Wahrscheinlichkeit, jemals die Barbeträge zurückzuerhalten, schwand dahin. So drängte bald dieser, bald jener Gläubiger auf Tilgung der Schuld oder – auf Verkauf des Pfandes. Der Leutnant von Elverfeldt, der ja aus verwandtschaftlichen und räumlichen Gründen seinem lockeren Vetter am besten in die Karten gucken konnte, sah das Ende des Spiels schon recht früh voraus. Er klagte daher auf Zwangsverkauf seines Pfandes, der Platzwiese. In öffentlich gemeldetem Verkaufstermine setzte er es durch, daß die hochwertige Wiese ihm als Eigentum überschrieben wurde, wofür 1190 Taler als Kaufpreis von seiner Forderung abgeschrieben wurden. Die übrigen Gläubiger ließen sich einstweilen durch den Hinweis auf die Güte ihrer Hypotheken weiter vertrösten.

 

Recht spät, erst im Jahre 1736, erhielt Johann Friedrich von Syberg von dem Grafen zur Lippe das Gericht über die Herrlichkeit Stiepel und die zugehörigen Lehnsgüter in lehnsrechtlicher Form zugesprochen. Zwei Jahre später starb er. Die zahlreichen Gläubiger rückten nun der Reihe nach mit ihren Forderungen und Schuldverschreibungen heran. Gumbert hatte vorsichtigerweise seine Obligation über 5000 Taler an den Kriegs- und Domänenrat von Bredenbach zu Kleve übertragen. Dieser verlangte für die nunmehr ihm eigene Schuldforderung die Herausgabe der verpfändeten Besitzstücke, nämlich einiger Weiden und der Papiermühle im Hammertal. Die Tochter des Doktors Westhofen, die Witwe Uebelgünn, berief sich auf ihren Schein und begehrte die Dörmanns Wiese. Sie klagte bei der Regierung in Kleve. Der Gerichtsherr in Herbede, auf den die Restforderung seines 1739 verstorbenen Neffen, des Leutnants von Elverfeldt übergegangen war, schloß sich der Klage an. So meldete sich einer nach dem andern. Die alte Baronin Christine Isabella war zunächst ratlos. Sie hatte ja nicht nur die Augen zugedrückt über den leichtlockeren Lebenswandel ihres Sohnes, sondern auch ihre Unterschrift hergegeben zu den rechtswidrigen Verpfändungen von Kemnadischem Lehnsbesitz. Der Ansturm der Gläubiger bereitete ihr die letzten Lebenssorgen. Noch vor Ausgang des Besitzstreites starb sie, zwei Jahre nach ihrem Sorgenkind.

 

Da stießen die Schuldherren plötzlich auf einen ebenso unvermuteten, wie unüberwindlichen Widerstand. Die Schwägerin des verstorbenen Kemnader Barons, die Witwe des auch früh verschiedenen Wischelinger Grund-herrn Johann Georg von Syberg, eine geborene von Grotthaus, legte zu Gunsten ihres minderjährigen Sohnes Johann Friedrich, der zum Erbherren von Kemnade bestimmt war, Einspruch in Kleve und Beschwerde in Det-mold ein mit dem Hinweise, daß der Schuldenmacher Lehnsgüter und nicht Allodialgüter verpfändet habe. Die Lippische Lehnskammer aber konnte bestätigen, daß weder der Reichsgraf, noch seine erbberechtigten Verwandten die Zustimmung zu diesem Vorgehen ihres Lehnsmannen und seiner Mutter gegeben hatten und auch niemals geben würden. Also war die Sicherheit für die Forderung der Kreditoren erschüttert. Auch der schon vor mehr als 10 Jahren vollzogene Zwangsverkauf der Platzwiese an den Leutnant von Elverfeldt hatte keine Rechtsgrundlage gehabt und mußte aufgehoben werden. Damit trat indes der Hofesschultheiß von Elverfeldt zu Herbede als Erbe seines Neffen in die Forderung der ursprünglichen 5000 Taler ein. Zwei Rechtsauffassungen standen sich nunmehr schroff gegenüber, die eine mit dem Schuldschein in der Hand, die sich fordernd auf das allgemeine Pfandrecht gründete, die andere, die sich abwehrend auf das Lehnsrecht berief. Die erstaunten Gläubiger, die zu spät merkten, daß sie trotz mehrfacher freiherrlicher Unterschrift getäuscht worden waren, schlossen sich zusammen und wählten zu ihrem Rechtsvertreter den Königlichen Rentmeister Mark in Blankenstein, den geschworenen Gegner der Syberg auf Kemnade. Dieser führte den Prozeß zunächst mit Erfolg; über K e m n a d e w u r d e d e r K o n k u r s e r k 1 ä r t. Der Bochumer Richter von Esselen wurde zum Kommissar der preußischen Regierung ernannt und mit der Vollstreckung des Konkurses beauftragt. In dem Hause des Sekretarii Rautert in Herbede sollten die „Distraktionstermine“ stattfinden. Schon meldete der „Duisburger Intelligenzzettel“ die einzelnen Verkaufstage für Januar, Februar und März 1743, um die in Kleve-Mark wohnenden Kauflustigen heranzuziehen, und von den Kanzeln der Kirchen in Stiepel, Herbede, Hat-tingen, Sprockhövel und Bochum wurden die einheimischen zahlungskräftigen Liebhaber Kemnadischer Güter eingeladen. Aber auch die bedrohte Gegenpartei arbeitete mit allem Eifer und nicht ohne Erfolg gegen die Zer-splitterung ihres Besitzes. Die Lippische Lehnskammer nahm sich des Vasallen des Grafen zur Lippe nachdrücklichst an, getreu dem versprechen in dem Lehnsbriefe, „dem Vasallo jederzeit gebührlich Lehnswahrschaft auf Erfordern auszurichten“. Ihrem und der Frau von Syberg-Wischelingen Vorgehen und Einspruch bei Friedrich dem Großen gelang es, das Unheil von Kemnade abzuwenden. Der Preußenkönig erkannte die Unzulässigkeit der Verpfändung der feudalen Güter an und stellte sich auf die Seite des formalen Rechts. Der Ruf des verstorbenen Barons als eines leichtfertigen und unwahrhaftigen Edelmannes wurde damit endgültig gebrandmarkt. Die Zwangsversteigerung der Sybergschen Güter, soweit sie zum Stiepel-Kemnader Lehen gehörten, wurde also den preußischen Beamten des Konkursverfahrens untersagt. Die Witwe Uebelgünn die sich unmittelbar an den König gewandt hatte, durfte sich einstweilen an dem Ertrag der verhypothezierten Güter „schadlos“ halten, bis sie nebst den anderen Kreditoren auf andere Weise ihr Geld zurückerhalten hätte. Durch Verhandlung mit Lippe wurde erreicht, daß dann noch ein kleiner Teil der in Stiepel liegenden Lehnsgüter verkauft werden konnte. Im übrigen blieb der Kemnadische Lehnsbesitz erhalten. Dagegen wurden die allodialen Güter der Familie Syberg zur Deckung der Schulden im Konkurswege veräußert. M a n c h e m K ö t t e r , P ä c h t e r u n d k l e i n e n M a n n e i n S t i e p e l b o t s i c h h i e r d i e G e l e g e n h e i t , e i g e n en G r u n d u n d B o d e n z u e r w e r b e n , s o d a ß e r s t o l z v o n s i c h s a g e n k o n n t e , n u n h a b e e r a u c h v o n G o t t i m H i m m e l u n d d e r S o n n e s e i n G u t z u L e h e n . D i e H e r r l i c h k e i t S t i e p e l s , d i e i n i h r e r g a n z e n G e s c h i c h t e b i s -h e r n u r z e h n f r e i e b ä u e r l i c h e B e s i t z e r g e z ä h l t h a t t e , z o g a u f d i e s e W e i s e a u s d e r t i e f e n V e r s c h u l d u n g d e s B a r o n s J o h a n n F r i e d r i c h v o n S y b e r g e i n e n g u t e n G e w i n n , i n d e m s i c h d e r K r e i s d e r E i n w o h n e r a u f f r e i e r S c h o l l e m i t e i n e m S c h l a g e e r w e i t e r t e .

Der lustige, lockere Baron mag in seinem ergötzlichen Leben viel gelacht haben; die Stiepeler Kötter durften dagegen erfahren, daß am besten lacht, wer zuletzt lacht. Ohne die Verschwendungssucht und Schuldenmacherei des einen hätten die andern ihre freien Güter nicht erwerben können.

 

Als die dunklen Wolken des Konkurses sich endlich nach Jahren verzogen hatten, war der Kemnadische Besitz zwar stark verringert, konnte aber noch bei guter Verwaltung die freiherrliche Familie standesgemäß ernähren. Diese wohlgeordnete, sparsame Bewirtschaftung wurde durch die Baronin von Syberg-Wischelingen eingeführt. Sie gab ihrem Sohne Johann Friedrich Wilhelm eine gute Erziehung und regierte als dessen Vormund zugleich die Herrlichkeit Stiepel. Im Jahre 1750 wurde sie für ihren Sohn mit Kemnade und Stiepel belehnt. Der Lehnsbrief lautete:

 

„Wir, Simon August, regierender Graf und Edler Herr zur Lippe, Souverain von Vianen und Ameyden, Erb-Burggraf zu Utrecht, p. p. thun kund und bekennen hiermit für uns, unsre Erben und jedermänniglich, daß wir die Witwe unseres Vasallen Weyl. Job. Georg von Syberg namens ihres minorennen und pflegebefohlenen Sohnes Johann Friedrich Wilhelm gnädiglich belehnt haben und thun das in kraft Dieses mit d e m H o f z u S t i e p e l , d e m H a u s e z u K e m n a d e , d e m H o c h g e r i c h t d a s e l b s t und mit aller der gu-ten Zubehörung, alten und neuen Zubehörung, Herrlichkeiten und Gerechtigkeiten, wie dieselben Wennemarens von der Recke selig von unsern gräflichen Vorfahren christlöblichen Gedächtnisses zu einem echten Erbe-Mannlehen empfangen hat. Dagegen haben Wir von Ihr durch ihren Bevollmächtigten Anton Jakob Lucanus, unsern Advokaten Fisci gewöhnliche Lehnsverpflichtung, Hulde und Eide aufgenommen, das Gut getreulich zu verwahren, zu bemannen und zu bedienen, unser und unser Grafschaft Bestes zu thuende und Schaden höchstens seines Verstandes und Vermögens abzuwenden und alles zu thuende, was einem getreuen Lehn-Mann nach Lehnsrechte und unseres Hofs Gebrauche zu thuende gebühret. Demnach wollen wir ihm Vasallo jederzeit gebührlich Lehnwahrschaft auf Erforderen ausrichten, ohne Gefährde.

 

 

Zur Urkunde haben Wir diesen Lehnbrief eigenhändig unterschrieben und unser Regierungskanzeley Insiegel hieran wissentlich hangen lassen.

So geschehen Detmold den 27. Oktobris des Eintausendsiebenhundertundfünfzigsten Jahres.

S i m o n A u g u s t ,

Reichsgraf zur Lippe.“

 

Impressum

1954 Bochum Ein Heimatbuch

6. Band

 

Herausgegeben von der Vereinigung für Heimatkunde E.V.

 

Druck und Verlag:

Märkische Vereinsdruckerei Schürmann und Klagges – Bochum 1954