Volkstumsforschung und Bauernhaus

 

Dr. Friedr. Walter, Münster

 

Volkstumsforschung ist eigentlich nicht neu. Gerade unsere Heimatforscher draußen im Lande haben seit langen Jahren schon in vorbildlicher Treue Einzelfragen erörtert und Baustein auf Baustein zusammengetragen. Und doch fehlte meist das Wichtigste – ein klarer Bauplan. Erst in unserer Zeit konnte der notwendige Schritt vollzogen werden, wo aus de Zersplitterung und Absonderung, heraus wieder der Blick aufs Ganze zurückgewonnen wird.

 

Nur vom Ganzen her kann heute die Volkstumsforschung, so wie sie hier aufgefaßt wird, entscheidende Anregungen und Zielsetzungen erhalten. Es gilt, klare Fragestellungen zu formen, neue Wege in der Forschung zu finden und – genügend neue Mitkämpfer zu gewinnen.

 

An einem kleinen Ausschnitt sollen Wege und Ziele kurz geschildert werden.

Volkstum und Heimat, Mensch und Raum, Blut und Boden – in des Wortes bester Bedeutung – sind in engster Weise und überaus vielgestaltig miteinander verbunden. Der landsuchende Mensch wählte den Raum, der ihm zusagte, und er gestaltete und formte seinen Siedlungsraum mehr oder minder weitgehend je nach der Eigenart seines Wesens. Der Raum begünstigte oder hemmte die Entwicklung. Er trennte, was anfangs blutmäßig zusammengehörte und in verschiedenen Räumen sich niederließ, oder er ließ zu einer volksmäßigen Einheit zusammenwachsen, was im gleichen Raume wohnte.

 

Wenn wir bei dem Volkstum der Heimat ergründen wollen, was ist und was war, dann müssen wir auf breitester Grundlage vorgehen. Zunächst müssen wir scharf auseinanderhalten den E i n z e l m e n s c h e n , dessen Wesensart und dessen Erbanlagen in seiner Sippe, in den Angehörigen gleichen Blutes mehr oder minder gleichartig erscheinen, und die S i e d l u n g s g e m e i n s c h a f t , die biologisch gesehen, verschiedenartig zusammengesetzt sein kann und meist tatsächlich auch ist.

 

Das Erfassen des äußeren Erscheinungsbildes des Menschen (z. B. Augenfarbe, Haarfarbe, Schädelform, Körpergröße, Wuchsform) genügt nicht, um ausreichend Klarheit über die Wesensart des Menschen der Heimat zu gewinnen, so wertvoll es an sich ist. Für die Erkenntnis des Charakters, der Art des Handelns, Denkens und Fühlens müssen andere Wege eingeschlagen werden. Wir müssen auf mittelbarem Wege versuchen, alle Quellen nutzbar zu machen, die uns irgendwie mehr oder minder sicheren Anhalt geben. Neben der sorgfältigsten und möglichst umfassenden Beobachtungen, die uns Einblicke in die Art des Handelns, Denkens und Fühlens früherer Geschlechter gestatten, und schließlich auch alle Zeugnisse, Urkunden und Funde erfassen, die den Werdegang der Besiedlung der Heimat und den allmählichen Siedlungsausbau aufhellen. Gerade die siedlungsgeschichtliche Betrachtung gibt der Volkstumsforschung eine feste Grundlage und läßt von vornherein unnötige Erörterungen ausschalten. Wenn dann außerdem durch eine neuartige Fragestellung neu Wege und Arbeitsrichtungen erschlossen werden, dann besteht die größtmögliche Aussicht, zu einwandfreien und gesicherten Erkenntnissen zu gelangen.

 

Der heutige Zustand ist das Ergebnis eines vielgestaltigen Werdens. Wenn es gelingt, die Vorgänge in ihrer Reihenfolge, ihrer Art und ihrem ausmaß auseinanderzugliedern, dann ist die wesentlichste Grundlage gewonnen. Im Gegensatz zu den meisten Untersuchungen soll nicht vom ältesten Zustand ausgegangen werden, sonder von der heutigen Zeit und dem jetzigen Befund. Dafür soll aber in größtmöglichster Breite die Gesamtheit aller Tatsachen des heimischen Volkstums betrachtet werden, die auf die gleiche Ursache, auf den Menschen und seine Wesensart zurückgehen.

 

Wir betrachten also einmal in großem Ueberblick die verschiedenen Erscheinungen, in denen sich die Eigenart des Volkstums ausprägen kann:

Sagen und Märchen,

Brauchtum,

Mundart,

Ortsnamen, Flurnamen,

Siedlungsweise,

Wirtschaftsformen,

Geräte,

Kleidung, Schmuck,

Bauweise.

 

Nicht in allen Tatsachen sind quellen von gleicher Bedeutung enthalten. Es handelt sich im Gegenteil darum, bei den verschiedenen Tatsachengruppen deren Wert und Gewicht als verwendbare Quelle möglichst sorgfältig abzuwägen. Wir müssen dabei zu scheiden suchen das Handeln des e i n z e l n e n M e n s c h e n und sein schöpferisches Wollen und Gestalten und das Handeln d e r G e m e i n s c h a f t , das aus Ueberlieferung oder gemeinschaftlichem Wollen heraus seine Formen findet.

 

Beim Erzählen von M ä r c h e n u n d S a g e n ist der Gestaltungskraft des Einzelmenschen ein Spielraum gelassen, der zwar von der Ehrfurcht vor der Ueberlieferung eingeengt sein kann, aber doch manche Umbildung und Neuschöpfung frei läßt. Deshalb dürfen Märchen und Sagen von vornherein nur mit gewisser Vorsicht als Zeugnisse heimischen Volkstums herangezogen werden. Das Auftreten bestimmter Stoffe, Personen, Namen, Handlungsweise kann wertvoll sein, wenn sie für einen bestimmten Ort wirklich einwandfrei bezeugt sind und feststeht, daß die Sagen und Märchen nicht aus anderem Gebiet übernommen sind. Erst die sichere Kenntnis, daß sie für einen Ort bestimmt bodenständig vorkommen, gestattet – immer mit obiger Einschränkung – eine Verwendung als Quelle für das Volkstum.

 

Beim B r a u c h t u m ist zu unterscheiden zwischen dem Jahreslauf- und Lebenslaufbrauchtum und den Sinnbildern. Während beim Jahreslauf die örtliche Ueberlieferung meist so gefestigt ist, daß der einzelne sich nur schwer dem Einfluß der Gemeinschaft entziehen kann, ist bei den Feiern und den Sitten, die im Lebenslaufbrauchtum auftreten, durch Zuheirat und Zuwanderung das Auftreten neuer Formen nicht ausgeschlossen. Bei den Sinnbildern überwiegen wohl die festen Ueberlieferungen, die eine Aufnahme neuer Formen nur schwer und nur ganz allmählich gestatten.

 

Die M u n d a r t bietet an sich besonders reiche Möglichkeiten der örtlichen Ueberlieferung. Sie ist die Sprache des bodenständigen Menschen, die auf uralte Wurzeln zurückgeht, in der aber auch mancherlei neu und ortsfremde Einflüsse im Laufe ihres Werdens sich ausgewirkt haben. Heutigentags können wir beobachten, wie von der Hochsprache her sich Formen von Ausdrücken oder Lauten in der Mundart festsetzen, die dieser ungeläufig waren. (z. B. „hinter“ statt bisher „achter“, „laut“ schreien statt bisher „hart“ schreien.) So haben sicherlich auch früher schon von der Sprache der Verwaltung oder der Kirche her sich Umbildungen vollzogen. Es wäre sehr wertvoll, die Lehnwörter in den Mundarten planmäßig zu untersuchen, die durch neue Wirtschaftsweisen, durch Waffenwesen, Kirche oder Verwaltung eingedrungen sind. Nicht jeder an sich altertümliche Ausdruck ist für die Volkstumsforschung ohne weiteres verwendbar, sondern zunächst nur die Form, die als bodenbeständig angenommen werden darf. Die Bodenständigkeit ergibt sich am klarsten durch kartographisches Festlegen ihrer Verbreitung. Es genügt dabei allerdings nicht, etwa den Verbreitungsraum mit einer Grenzlinie zu umreißen. Im Gegenteil liegt in dieser leider recht häufigen Art eine gefährliche Fehlerquelle. Nur das sorgfältige Eintragen jedes einzelnen P u n k t e s des Vorkommens gibt eine einwandfreie Grundlage für die Auswertung. Dann lassen sich die abseitsliegenden Streuvorkommen sicher erkennen und deren Ursachen ermitteln. Ebenso kann bei Lücken nachgeprüft werden, ob die Formen dort tatsächlich nicht vorhanden sind oder ob lediglich eine Lücke der Beobachtung noch zu schließen ist. Als Quellen für die Volkstumsforschung haben nicht die seltenen oder absonderlichen Formen den größeren Wert, sondern gerade das Sprachgut des Alltäglichen. Dabei müssen Ausdrücke besondere Beachtung finden, die möglichst nicht durch die Hochsprache beeinflußt sind und die Dinge oder Vorgänge bezeichnen, die schon in alter Zeit dem Lebenskreis der Menschen angehörten. Als Beispiel führe ich die mundartliche Bezeichnung für das kastrierte männliche Schwein an. Selbst in heutiger Zeit ist noch kein allgemein gültiger Fachausdruck dafür in unserer Hochsprache vorhanden. Es ist andererseits sicher, daß das Kastrieren von Haustieren bei uns schon seit Jahrtausenden üblich ist. Die Verbreitung der verschiedenen Ausdrücke ist überaus kennzeichnend. Im südlichen, östlichen und nördlichen Westfalen wird das kastrierte männliche Schwein (in örtlich etwas abgewandelter Form) als bürchel, barg, borg . . . bezeichnet. Im Westfälischen Münsterland (Ahaus, Steinfurt) wird wohl im Anschluß an holländische Formen) der Ausdruck „for“ verwandt und das Kernmünsterland mit Einschluß des östlichen Hellwegs zeigt als gänzlich abweichende Form den Ausdruck „kan“. Daß in dieser eigenartigen Verbreitung keine Zufälligkeit zu erblicken ist, geht aus der Uebereinstimmung mit verschiedenen anderen Tatsachen hervor.

 

Eine Zeitlang hat die Geschichtswissenschaft die O r t s n a m e n als Geschichtsquelle als unzulänglich und unsicher abgelehnt. Ich habe bereits anderwärts eingehend betont, daß die Ortsnamen durchaus wertvolle Quellen sein können, denen allerdings nicht mehr zugemutet werden darf, als sie auszusagen vermögen. Wir müssen die Siedlungsnamen trennen von den Flurnamen und von den Geländenamen (Namen für Gewässer, Berge, größere Wälder). Die letzteren sind vielfach die ältesten aber schwer einem bestimmten Volkstum zuzuweisen und liegen wohl vielfach nur in abgeänderter oder verderbter Form vor. Die reinen Flurnamen sind teils junge oder späte Neuschöpfungen. Sie können meist nur als zusätzliche Quellen neben anderen benutzt werden und auch dann nur bei sorgfältiger örtlicher Durchprüfung und möglichst nur in der m u n d a r t - l i c h e n Form. Verhältnismäßig am sichersten sind die Ortsnamen i. e. S., die Siedlungsnamen. Auch hier darf die einzelne Form nicht für sich losgelöst vom Ort und vom Verbreitungsraum betrachtet werden. Streuvorkommen sind stets unsicher. Nur häufige Verbreitung bestimmter Formen in klar begrenzten einzelnen Räumen gestattet einen einigermaßen sichere Auswertung.

 

Die Ortsnamen auf –lage (z. B. Mimmelage, Stapellage, Bortlage) beschränken sich im wesentlichen auf das Gebiet nördlich der Ems (von wenigen Streuvorkommen abgesehen). Die Namen auf –venn, -veen, -fehn kommen nur im Münsterland und dort nur im Gebiet des leichten Bodens, die Namen auf –brock, -brook, -bruch dagegen in weiterer Verbreitung und außer auf leichtem Boden auch im Gebiet des schweren Bodens vor. Die Ortsnamen –scheid (Lüdenscheid, Remscheid) treten im Sauerland und im Bergischen Land überaus zahlreich auf, reichen aber nur vereinzelt (z. B. Wattenscheid) über Ruhr und Möhne nach Norden hinüber. Diese Verbreitung ist durch die siedlungsgeschichtliche Entwicklung bedingt. Die einzelnen Räume sind sicher zu verschiedenen Zeiten, unter verschiedenartigen wirtschaftlichen und wohl auch sozialen Voraussetzungen und möglicherweise von Menschen verschiedenen Volkstums besiedelt worden. Wenn Ortsnamen auf –born (z. B. Paderborn, Eickelborn) auch nördlich des Gebietes auftreten, in dem mundartlich der Brunnen als „born“ bezeichnet wird, dann muß die Namensbildung dieser vorgelagerten Ortsnamen unter ortsfremdem (fränkischem) Einfluß erfolgt sein.

 

Die verschiedenartige S i e d l u n g s w e i s e im westfälischen Raume ist schon immer stark beachtet und vielfach gedeutet worden. Im Münsterlande gibt der Einzelhof der Landschaft das Gepräge. Am Hellweg entlang liegen die Höfe zu kleinen, lockeren Dörfern vereint. Das Paderborner Land zeigt große, volkreiche Dörfer, die allerdings erst im Mittelalter aus kleinen Dorfsiedlungen durch Zusammenschluß entstanden sind. Im Ravensberger Lande überwiegt im frühbesiedelten Teile um Bünde-Enger das kleine Dorf, im später besiedelten der Einzelhof. Im Sauerland herrscht die Dorfsiedlung, im Bergisch-Märkischen das „Gehöft“ oder der Einzelhof. Im einzelnen zeigen sich in der örtlichen Verteilung der Siedlungsformen, der Flurverfassung, der Hofformen sehr viel kennzeichnende Tatsachen, die gestatten werden, die Anfänge der Besiedlung und ihren allmählichen Ausbau hinreichend zu klären. Es soll hier nur auf eine Besonderheit hingewiesen werden. Während die kleineren und mittleren Bauernhöfe in Westfalen über das ganze Land hin ziemlich gleichmäßig verbreitet sind und die größeren Höfe mit über 100 Hektar Nutzfläche in der Hauptsache im Paderborner Land liegen, zeigen die landwirtschaftlichen Betriebe mit 20 – 50 Hektar Nutzfläche eine ganz ungewöhnliche Verteilung. Sie liegen stark gehäuft auf den guten und schweren Böden des Kernmünsterlandes, des mittleren Hellwegs und der Marburger Börde. Auf den leichten Böden des Münsterlandes und im Sauerland treten sie dagegen weit weniger zahlreich auf. Diese auffällige Verbreitung kann nur auf siedlungsgeschichtliche Ursachen zurückgeführt werden.

 

Gewiß ist jede W i r t s c h a f t s w e i s e stark abhängig von den natürlichen Gegebenheiten, von Boden, Klima und Bodengestalt des Ortes. Aber auch die Wesensart des wirtschaftlichen Menschen spielt nicht unerheblich mit, welche Formen sich entwickeln. Die Regsamkeit einer Bevölkerung, ihre Bereitwilligkeit zur Uebernahme von Neuerungen ist durchaus verschieden. Heute ist das bei der Einführung neuer landwirtschaftlicher Maschinen, bei der Anwendung von Kunstdünger oder beim Anbau neuer Kulturpflanzen oder bei der Umstellung in der Fütterung gut zu beobachten.

 

Damit geht die Verwendung bestimmter G e r ä t e einher. Im westlichen Westfalen begegnet uns allgemein die zweirädrige Karre und ein besonders geformtes Kumt (Ham) bei den Pferden. Oestlich davon herrscht der vierrädrige Wagen. Daß im westlichen Münsterland und Sauerland zwei ihrer Bauart nach grundverschiedene alte Formen von Holzpflügen (Hondspflüge) noch in einzelnen Resten vorhanden sind, wurde von mir bereits mehrfach hervorgehoben. Leide ist bisher noch viel zu wenig – von Flachsbearbeitungsgerät abgesehen – auf die Formen der alten Holzgeräte und Holzgefäße geachtet worden. Gerade in ihnen sind überaus wichtige Urkunden ehemaliger Wirtschaftsweise und heimischen Volkstums enthalten.

 

Schließlich sind die örtlichen Eigentümlichkeiten der B a u w e i s e von wesentlicher Bedeutung. Nicht so sehr ist das entgegen der landläufigen Auffassung bei Schlössern, Burgen, Domen und den Kirchen größerer Orte der Fall. Je bedeutender das Bauvorhaben, desto kenntnisreicher und hochstehender mußte der Baumeister sein. Daher prägt sich in solchen Bauten zwar die Baugesinnung ihrer Entstehungszeit aus. Die Gestaltung im einzelnen ist jedoch weit vorherrschend das Werk des einzelnen Meisters, der sein Gefühl, seine Seele in seinem Werk lebendig werden ließ.

 

Ganz anders ist das bei den schlichten Bauten des Alltags und da vor allem beim B a u e r n h a u s . Das Bauernhaus ist ganz ausgesprochen eine Urkunde bodenständigen Volkstums. Es wurde von dem Bauern und seinen Nachbarn in gemeinsamer Arbeit unter Leitung eines Zimmermanns treu nach den überkommenen Regeln errichtet. Die wirtschaftlichen Vorbedingungen, die die Raumanordnung und die Raumgröße bestimmten, bleiben jahrhundertelang nahezu die gleichen.

 

Bis zu dem großen wirtschaftlichen Umbruch, der um 1800 einsetzte, blieben daher die Grundformen für das westfälische Bauernhaus und seine Gestaltung im wesentlichen dieselben. So können wir heute noch bei älteren Bauten des platten Landes eine reiche Fülle von Ueberlieferungen aus weit zurückliegender Zeit antreffen, die an städtischen Bauten zwar auch noch hier und da zu finden sind, die aber dort nicht so sichere Belege für die Volkstumsforschung darstellen. Gerade die an sich belanglosen Dinge und Formen am Bauernhaus haben am zähesten und längsten altes Erbgut festgehalten. Die Pferdeköpfe am Giebel des westfälischen Bauernhauses sind allbekannt. Weniger geläufig ist jedoch, daß noch heute einige letzte Reste in den einzelnen Gegenden die örtlich verschiedenen Formen der Giebelzier zeigen. In Olpe, im Delbrücker Land und in Borken tritt eine stark stilisierte, schlichte Form auf. In den Kreisen Minden und Lübbecke finden wir Formen, die Pferdeköpfe mehr naturgetreu wiedergeben, vielfach sogar mit Zügel darstellen. Wie schon vor Jahren B r a n d i darlegte, sind im Raum Osnabrück – Bielefeld – Bückeburg – Lübbecke nicht die Pferdeköpfe, sondern Geckpfähle als Giebelzier verbreitet. Sie stellen überdies mit ihren überaus vielgestaltigen Formen reizvolle Erzeugnisse ländlicher Handwerkskunst dar.

 

Im Ravensberger, Lippischen und Paderborner Lande und weit verbreitet auch im Sauerlande können wir reiches Schnitzwerk besonders an den Türständer und den Türbalken beobachten. Bei diesen Schnitzereien sind Hakenkreuz, Sechsstern, Sonnenrad und Lebensbaum so häufig und an so ausgesprochen bevorzugten Stellen des Hauses anzutreffen, daß nicht das Schmuckbedürfnis die Ursache für das Anbringen dieser Fromen sein kann. Sie sind S i n n b i l d e r , denen in älterer Zeit eine bestimmte Bedeutung beigelegt wurde, die später mehr und mehr i Vergessenheit geriet. Trotzdem muß eine wenigstens dunkle Erinnerung zurückgeblieben sein, so daß es bis weit in das vorige Jahrhundert hinein üblich blieb, die Zeichen anzubringen. Besonders Bedeutung besitzt der Umstand, daß die Zeichen (vor allem Hakenkreuz und Sechsstern) auch öfters am Herdfeuer und häufig auf Möbeln und Geräten der Brautausstattung erscheinen (Brauttruhen, Neujahrskucheneisen, Salzkästen).

 

Daß Pferdeköpfe, Hakenkreuz und Sechsstern Ueberlieferungen aus altgermanischer Zeit darstellen, wird nirgends bezweifelt. Daß aber auch gewisse eigenartige Gebälkformen, die im Volksmund als „Wilder Mann“ bezeichnet werden, gleichfalls alte Sinnbilder sind, besitzt große Wahrscheinlichkeit. Zunächst muß betont werden, daß Baufachleute die Form des „K-Bandes“ als Verstrebung gegen Seitenschub als technisch wenig günstig bezeichnen. Andererseits tritt der „Wilde Mann“ im ganzen Verbreitungsgebiet des „fränkischen“ Hauses etwa von der Neckarmündung und dem fränkischen Jura im Süden bis zur nördlichen Eifel, dem Sauerland und dem nördlichen Harzvorland im Norden und weiter in Schlesien und in Teilen Ostpreußens (als fränkischem Kolonisationsgebiet) überaus regelmäßig bis zurück zu den ältesten bekannten Bauten auf. Selbst dann, wenn die Form keine Bedeutung als Sinnbild hätte – die Bezeichnung „Wilder Mann“ betont jedoch gerade diesen Zusammenhang – würde allein die eigenartige Verbreitung diese Gebälkform schon wertvoll genug für die Volkstumsforschung machen. In Westfalen klingt der Einfluß vom Siegerland her unter Verarmung der Formen nach Norden hin allmählich aus und endet etwa am Hellweg.

 

Nur kurz hingewiesen sei auf die recht eigenartigen Speicher, die in den meisten Teilen Westfalens anzutreffen sind, dann auf die merkwürdigen Mäusescheunen des westlichen Münsterlandes (deren Balkenrost auf spitzen Steinen ruht, so daß die Frucht in den Scheunen vor Mäusen und vor Bodenfeuchtigkeit geschützt ist) und auf die ebenfalls sehr kennzeichnenden Haferkästen des bergisch-märkischen Gebiets.

 

Im einzelnen bieten die verschiedenen Tatsachen schon an und für sich wichtige Erkenntnisse. Noch wertvoller aber wird eine vergleichende Betrachtung, wenn die inneren Zusammenhänge sich immer klarer herausschälen. Das Sauerland ist wesentlich später besiedelt worden als das Hellweggebiet, in der Hauptsache wohl im hohen Mittelalter. Die Ortsnamen auf –scheid bezeichnen meist junge Rodungsgründungen. Im Sauerland herrscht das westfälische Längsdielenhaus bis an die Sprachgrenze mit der mitteldeutschen Mundart. Das Bauernhaus des Sauerlandes zeigt aber starke Einflüsse in seinen Gebälkformen vom fränkischen Siedlungsraum her. Das Hellweggebiet ist in seinen Ortsnamen und seiner Siedlungsweise – teilweise auch in seiner Mundart – vom Münsterland geschieden. Das Kernmünsterland (Baumbergraum und Beckumer Raum) besitzt anderen, schwereren Boden als das westliche Münsterland und das Emsgebiet. Die Ortsnamen auf –trup und auffällig auf den schweren Boden des Münsterlandes (und des Landes zwischen Teutoburger Wald und Wiehengebirge) beschränkt. Auf den gleichen Raum des Münsterlandes erstreckt sich die mundartliche Form „kann“ für Schwein und im gleichen Raum häufen sich die großbäuerlichen Betriebe. Wenn nun nach Brepohl die Westgrenze dieses Raumes eine auffällige Grenze bestimmter Sagenstoffe darstellt und wenn diese gleiche Grenze im wesentlichen auch das Zweiständerhaus mit durchgestreckten Balken von dem Vierständerhaus des Kernmünsterlandes scheidet, dann kann nur angenommen werden, daß hier verschiedene Volkstumsräume nebeneinander liegen.

 

Es konnten an dieser Stelle nur die wichtigsten Beziehungen in gedrängter Kürze auf knappem Raum umrissen werden. Die Erörterungen bedürfen noch des Ausbaus und der weiteren Ausgestaltung. Die wenigen Beispiele, die hier gezeigt werden konnten, deuten aber wohl an, daß eine Fülle wertvollster Gesichtspunkte aus der vergleichenden Betrachtung gewonnen werden kann. Mancherlei Spuren ursprünglichen Volkstums sind heute bereits im Schwinden. Daher gilt es, daß alle, die im heißem Herzen an ihrer deutschen Heimat hängen, mitwirken beim Sammeln und Sichten der letzten Belege durch Aufzeichnung oder Bild oder durch Sicherstellen des Gegenstandes, oder daß sie Belegstellen aus Urkunden und alten Nachrichten zusammenstellen helfen, damit allmählich ein immer klareres und besseres Bild vom Volkstum der Heimat gewonnen wird.

  

Impressum

1938 Bochum Ein Heimatbuch

 

Herausgegeben im Auftrag der Vereinigung für Heimatkunde von B. Kleff

 

Druck und Verlag

Märkische Vereinsdruckerei Schürmann & Klagges

4. Band

 

 Bochum 1938

 

(Zitierhinweis 2012)

Bernhard Kleff, Hg.: Bochum. Ein Heimatbuch. Bochum 1938. Bochumer Heimatbuch Bd. 4