Die Hülse oder Stechpalme.

 

Dr. G. Wefelscheid.

 

Mit den wenigen Resten einstmals ausgedehnter Laubwälder unserer Heimat ist bis heute auch die Hülse, Hülskrabbe oder Stechpalme (Ilex aquifolium) als ein Zeuge aus längst vergangenen Zeiten erhalten geblieben. Sie ist kein Fremdling unter der Laubkrone der heimatlichen Buche, so auffällig sie sich auch im Herbst und Winter durch ihre immergünen Blätter von allen übrigen, alsdann kahl dastehenden Laubhölzern hervorhebt. Sie hat vielmehr ursprüngliches und volles Heimatrecht bei uns, da sie hier ihre Lebensbedingungen, in erster Linie die ihr zusagenden klimatischen Verhältnisse, seit jeher – von vorhistorischer Zeit an – gefunden hat. Nur im Bereiche des ozeanischen Klimas, also in Gebieten mit reichlichen Niederschlägen und nicht zu großer Kälte, treffen wir sie wildwachsend an. Eine besondere Bodenart scheint die Hülse nicht zu beanspruchen; sie wächst auf feuchtem und trockenem Untergrunde, mag er sandig, lehmig oder kalkhaltig sein.

 

Entsprechend ihren Klimaansprüchen kommt sie in Deutschland im Westen und im nördlichen Teile in einem Gebiete vor, das nach Osten hin immer weniger tief von der Küste her in das Innere des Landes reicht und das schließlich bei Greifswald seine östliche Grenze findet. Für Süddeutschland bildet der Schwarzwald die Ostgrenze, die dann an der Nordseite der Alpen weiter nach Osten umbiegt. Nach den Angaben von Dr. G. Foerster findet sich im südlichen Teile unserer Provinz die Hülse noch im Arnsberger Walde und in einzelnen Teilen des westlichen Sauerlandes, doch bildet die Lenne die ungefähre Verbreitungsgrenze. Die Linie läuft dann westlich durch das Oberbergische, um dann nach Süden umzubiegen und zum Westerwald und dann weiter zum Taunus zu verlaufen.

 

Am häufigsten finden wir die Hülse – das gilt auch im allgemeinen für ihr Vorkommen in hiesiger Gegend – als Unterholz in Buchenwäldern, eine Tatsache, die so auffallend ist, daß man die Stechpalme geradezu als Buchenleiter bezeichnen kann. Diese eigenartige Beziehung zur Buche soll sich nach Ansicht Dr. Foersters erst im letzten Zeitraum der Erdentwicklung, also in geschichtlicher Zeit gebildet haben, als das Trockenerwerden des Klimas und die Eingriffe des Menschen die Hülse zwangen, den Schutz des Buchenwaldes aufzusuchen.

 

In unserer engeren Heimat kommt die Stechpalme noch verhältnismäßig häufig und zwar durchweg als Strauch vor, während Hülsenbäume früher auch hierzulande sicherlich keine Seltenheiten waren, aber heute nur noch vereinzelt erhalten sind. Außer in den Wäldern in Querenburg finden wir größere und geschlossene Hülsenbestände im Weitmarholz westlich der Hattinger Straße. Hier, besonders in dem kleinen, mit Birken bestandenen Teile des Busches, haben sich die Hülsen zu fast undurchdringlichen Dickichten, oft in Gemeinschaft mit Brombeersträuchern zusammengeschlossen. Am Rande dieses Birkenwäldchens stehen auch einige baumartige Stechpalmen, die eine Höhe von etwa 6 Meter aufweisen und deshalb schon in unserer Gegend als selten angesehen werden müssen. Leider sind auch in diesem Jahre einzelne Exemplare in unvernünftiger Weise von unbefugter Hand so stark ihrer Zweige beraubt worden, daß sie nur noch als Krüppel wirken. Beim Durchschreiten dieses Gehölzes fällt uns auf, daß die Hülsen in den lichteren Teilen oder am Rande viel üppiger dastehen als in dem anschließenden tiefschattigen Buchenwalde, wo sie viel sperriger und weniger dicht belaubt erscheinen. Die gleiche Beobachtung können wir in dem größeren Teile des Weitmarholz beiderseits der nach Baak führenden Straße machen, wenn wir die Hülsen auf den Kahlschlägen mit denen des Waldinnern vergleichen. Infolge des höheren Lichtgenusses am Waldesrande oder nach Abholzung des Waldes können sie kräftiger gedeihen als im Schatten der Waldbäume. Das finden wir auch bestätigt an einem der schönsten Hülsenbestände unserer Heimat, auf der Höhe des Henkenberges in Stiepel. Zur Freude jedes Naturfreundes hat sich hier, wo früher – darauf weist das Hülsenvorkommen auch an dieser Stelle hin – Laubwald den ganzen Berg bedeckte, ein fast undurchdringliches Hülsendickicht entwickelt, in dem nur vereinzelte Laubhölzer eingesprengt sind. Vom Kamme des Berges aus, wo es am dichtesten ist, dringt es nach unten allmählich weiter vor, im Kampfe mit dem Heidekraut, das die noch freien Teile des Berghanges nach allen Seiten hin überzieht. Eines der schönsten und eindrucksvollsten Bilder bietet sich unserem Auge, wenn der Berg im Schmuck seiner blühenden Heide steht, deren leuchtendrotes Blütenmeer durch das Dunkelgrün der Hülsen unterbrochen wird.

 

Ein gütiges Geschick hat uns diese Bestände bis auf den heutigen Tag erhalten; wir verdanken das weniger der Einsicht des Menschen , Schonung gegenüber der lebenden Natur seiner Heimat üben zu sollen, sondern der zähen Lebensenergie und Urwüchsigkeit der Pflanze allen Angriffen und Eingriffen des Menschen zum Trotz. In anderen Teilen unseres Vaterlandes, wo sie früher gleichfalls zu den verbreitetsten Holzarten gehörte, z. B. im württembergischen Schwarzwald, ist die Stechpalme heute nahezu völlig ausgerottet.

 

Während bei den Hülsensträuchern unserer Heimat die bekannten lederartigen und oberseits glänzenden Blätter alle gestachelt erscheinen, weisen die Hülsenbäume an ihren oberen Zweigen ungestachelte und glattrandige Blätter auf. Eine solche Abänderung in der Blattform bei ein und derselben Pflanze finden wir auch beim Efeu, wenn er eine bestimmte Höhe erreicht hat. Die Hülse blüht im Mai oder Juni. Die weißen Blüten sitzen zu Büscheln vereint in den Achseln der Blätter. Durch ihren starken Duft locken sie zahlreiche Insekten herbei, die von Blüte zu Blüte und von Strauch zu Strauch fliegen und dabei die Bestäubung (Befruchtung) vermitteln. Ein Teil der Pflanzen bildet in seinen Blüten nur Blütenstaub, hingegen finden wir bei anderen nur Blüten mit den die Samenanlagen bergenden Stempel. Die beiden Geschlechter sind also auf verschiedene Pflanzen verteilt, eine Erscheinung, die der Botaniker als Zweihäusigkeit bezeichnet. Wie man durch nähere Untersuchungen feststellen kann, sind bei den männlichen Hülsen, die also den für die Befruchtung notwendigen Blütenstaub liefern, die Stempel, bei den weiblichen dagegen die Staubblätter verkümmert. Interessant ist die Tatsache, daß die Stechpalme unter Umständen ihr Geschlecht ändern kann, wie Dr. Foerster einwandfrei an dem nach ihm benannten Baume, der Dr. Foersterä-Hülse in Mittel-Enkeln (Kr. Wipperfürth) festgestellt hat. Dieser früher weibliche Baum erzeugt jetzt nur noch männl. Blüten.

 

Nachdem die weiblichen Blüten befruchtet sind, entwickeln sich aus ihnen die bis in den Herbst hinein grün bleibenden Beeren, die zu Beginn des Winters in leuchtendem Rot glänzen. In dieser Jahreszeit bilden die Hülsen den schönsten Schmuck unserer heimatlichen Fluren. Selten, wohl nur in sehr strengen Wintern, werden die Früchte von Vögeln, namentlich von den Drosseln und von Wildtauben, verzehrt. Die vom Fruchtfleisch eingeschlossenen, steinharten Samen sind nur keimfähig, wenn sie durch den Vogeldarm gewandert sind, wobei die harte Samenschale unter der Einwirkung der Verdauungssäfte aufgeweicht wird und somit nachher im Erdboden die zum Keimen notwendige Feuchtigkeit in das Innere des Samens gelangen kann. In der Regel vermehrt sich die Pflanze durch Wurzelschößlinge, die in der Nähe der Mutterpflanze aus dem Boden hervorsprießen.

 

Das Wachstum erfolgt bei der Hülse bedeutend langsamer, als bei allen anderen unserer Holzarten, namentlich vom 40. bis 50. Jahre an. Das bezieht sich sowohl auf das Höhen- wie auch auf das Dickenwachstum des Stammes. Das Alter der Hülsenbäume, die in der freien Natur einen Stammumfang von mehr als ein Meter erreicht haben, muß auf mehrere hundert Jahre geschätzt werden. Das Holz ist außerordentlich zähe und hart und wurde deshalb früher als feines Tischler- und Drechslerholz hochgeschätzt; das wertvolle Holz ist den Hülsenbäumen zum Verhängnis geworden, sie fielen der Verwendung durch den Menschen zum Opfer.

 

Seit altersher erfreut sich die Hülse einer besonderen Volkstümlichkeit, darauf weisen schon zahlreiche Familiennamen wie Hüls, Hülshoff, Hülsmeyer, Hülsmann usw., sowie auch viele Orts- und Flurbezeichnungen hin, von denen hier nur Namen wie Hülsbeck, Hülsscheid, Hülsenberg, Hülsenbusch u. a. erwähnt sein mögen. Aus der außerordentlich mannigfaltigen Verwendung, die die Hülse gefunden hat, ist die volkstümliche Zuneigung zu dieser Pflanze leicht erklärlich. Noch heute werden aus dem Holz kräftiger Stämme und Zweige Hammerstiele, Peitschenstile und Spazierstöcke angefertigt. Aus der Rinde läßt sich zusammen mit den klebrigen Früchten der Mistel ein Vogelleim herstellen. Die Blätter dienen zur Gewinnung eines Tees, der gegen Durchfall, bei Magenschmerzen und Fieber Verwendung findet. Eine südamerikanische Form der Hülse (Ilex paraguariensis) liefert den Südamerikanern, den beliebten Paraguay-Tee oder das Mate-Getränk. Allgemein geschätzt ist aber die Stechpalme auf dem Lande als Schmuckmittel bei Festen und Feiern aller Art; vor allem werden die krausen u. nicht leicht welkenden Blätter zur Herstellung von Guirlanden und Kränzen verwendet. Ein Stechpalmzweig mit roten Beeren verleiht auch dem Zimmer des Stadtbewohners zur Winterzeit einen besonderen Schmuck. Größer noch ist die Menge von Hülsenzweigen mit Blättern und Früchten, die von den Kranzbindereien verarbeitet werden. Während in unserer Heimat früher auch die Hülse vielfach als Weihnachtsbäumchen dienen mußte, werden in England auch heute noch um Weihnachten die Haustüren mit fruchttragenden Stechpalmzweigen (holly) geschmückt.

 

In dieser allgemeinen Beliebtheit der Hülse liegt natürlich eine große Gefahr für die Erhaltung der Pflanze. Dem kann außer durch staatlichen Schutz, den sie genießt, nur dadurch vorgebeugt werden, daß weite Volkskreise, besonders auch die Jugend, darüber aufgeklärt werden, daß mit dem Verschwinden der Hülse unsere Heimat eines der schönsten und ursprünglichsten Naturdenkmäler beraubt sein würde, das aber bei verständiger Einsicht aller unserer Volksgenossen auch in ferner Zukunft noch unserer Heimat ein besonderer Schmuck sein und bleiben kann.

  

Impressum

(ohne Jahr, ca. 1928) Bochum Heimatbuch

 

Herausgegeben im Auftrag der Vereinigung für Heimatkunde von B. Kleff.

 

Verlag und Druck

Schürmann & Klagge

1. Band

 

An diesem Heimatbuche arbeiteten mit:

 

Staatsanwaltschaftsrat Dr. G. Höfken

Bergassessor Dr. P. Kukuk, Privatdozent an der Universität Münster

Rektor B. Kleff, Leiter des Städtischen Museums

Redakteur A. Peddinghaus

Redakteur F. Pierenkämper

Lehrer J. Sternemann

Studienrat Dr. G. Wefelscheid

Gustav Singerhoff

Wilma Weierhorn

sämtlich in Bochum

 

Die Federzeichnungen besorgte Graphiker Ewald Forzig

die Scherenschnitte Frl. E. Marrè / die Baumphotographien Ingenieur Aug. Nihuus

den übrigen Buchschmuck Druckereileiter Erich Brockmann

sämtlich in Bochum

 

(Zitierhinweis 2012)

Bernhard Kleff, Hg.: Bochum. Ein Heimatbuch. Bochum 1925. Bochumer Heimatbuch Bd. 1