Urfehde im Bochumer alten Bürgerbuch.

 

 Kleff

 

Urfehde bedeutet eigentlich „Aussein der Fehde“. In germanischer Urzeit war die gesetzliche Folge aller gemeinen Friedensbrüche, abgesehen von den Fällen standhafter Tat, die Fehde des Verletzten und seiner Sippe gegen den Täter, ohne das es der Aufsagung des Friedens bedurfte. Beendigt wurde diese Bekämpfung durch gerichtlichen oder außergerichtlichen Sühnevertrag. In beiden Fällen hatte sich die befehdete Partei durch eine in Viehhäuptern festgesetztes Sühngeld den Frieden zu erkaufen und empfing dafür seitens des bisherigen Gegners ein eidliches Friedensversprechen, das die Fehde aufhob und darum U n f e h d e oder U r f e h d e genannt wurde. Weil nach niedergelegter Fehde der Missetäter häufig das Land räumen mußte, konnte Urfehde später auch Verbannung bedeuten. „Urfehde schwur er, nie zurückzukehren“, läßt Schiller im „Tell“ den Melchthal vom Landenberg sagen. Zuletzt verstand man unter Urfehde vornehmlich das eidliche Versprechen eines Missetäters, sich für die erlittene Haft oder sonstige Unbill nicht rächen zu wollen. In diesem Sinne gebraucht auch das „Alte Bürgerbuch“ der Stadt Bochum das Wort „Urfehde“ (urpfedt, urphede, orfede u. a.), wenn auch noch mancherlei damit verbunden wird. Dieses „Alte Bürgerbuch“ wurde nach dem großen Stadtbrande von 1517 angelegt und enthält Aufzeichnungen der Stadtobrigkeit aus ihrer Verwaltungstätigkeit verschiedenster Art. Auch mancherlei Rechtsgeschäfte sind verzeichnet.

 

Wenn in den Aufzeichnungen bei Urfehden ständig von „Hof von Bochum“ und Schultheiß neben Bürgermeister und Rat der Stadt die Rede ist, so lag das an den eigenartigen Verhältnissen. Der Schultheiß war der Sachwalter des alten Reichshofes, der seit 1243 den Grafen von der Mark gehörte. Die landesherrliche Urkunde von 1321 räumte ihm große Rechte ein. Wenn auch für Zivilsachen und schwere Straffälle ein ordentlicher Richter zuständig war, so konnte der Schultheiß doch mit Bürgermeister und Rat der Stadt u. a. zu Gericht sitzen bei Vergehen leichterer Art, z. B. bei Beleidigungen und Körperverletzungen mit und ohne Blutvergießen. Daraus erklärt sich, daß ein Missetäter bei der Entlassung eidlich versichern mußte, keinerlei Rache – auch nicht auf Umwegen – üben zu wollen gegen den Landesherrn, gegen seinen Hof in Bochum, gegen seinen Schultheiß, gegen Bürgermeister und Rat der Stadt. So heißt es z. B. „Anno d. 1604 den 21. Juny, als Henderich Wesselink von westerholt van deßwegen das er sich in der Stadt graben Dienste moidwillig verhalten und dem Bürgermeister Adolphen abeli mit gar trotzig unwilligen wordt begegnet, allhier zu Boickhem auff dem Raidthause gefencklich angehalten, als ist ahn solcher gefencklicher anhaltungh auff vürpitt guiter leute und auff nachfolgende Condition erlasen dergestalde, das ehr Henderich mit aufgestreckten zwehn fingern seiner rechten handt zu gott und seinem heiligen wordt versichert, gelobt und geschworen daß er dieser seiner gefencklichen anhaltungh halber widder den d u r c h l e u c h t i g e n u n d h o i c h g e b o r e n e n g n ä d i g e n f ü r - s t e n u n d h e r r n d e n h o f f u n d d i e i n B o i c k h e m a l s S c h u l t h e i ß , B ü r g e r - m e i s t e r u n d R a i d t derselben mitborgen und denen schutz und schirm verwandten nichtz daitliches noch ungiudtliches soll noch woll unernehmen werde heimlich oder öffentlich durch sich selbst oder jemantz seinetwegen sowie sich jeder zeitmit gebuirlichem Recht gegen jedermänniglich genügen laßen, so gewiß ihm gott helffe und sein heiliges wordt alles treulich und ungefährlich und daß zu unserer sichrungh hat Gerhardt Stoidt zum Borgen gestaldt und denselben schadeloß zu halten versprochen.“ 1572 wird „Magdalena aus Liefland, ein landtzknechtzfrauen deshalb, da sie widder ausgangner Edikten und Befehl unsers gnedigen Fürsten und Herren mit landtknechten in Ihro herzogl. Landen garden (-betteln) gangen binnen dieser stadt Boukhum gefenklich eingezogen“. Nachdem aber die Landsknechte „gegen gewontliche urphede und mit verlobung. Ihrer herzogl. lande“ nach der Gefüngnisstrafe verlassen zu wollen, in Freiheit gesetzt sind, wird auch gedachte Magdalena „der gefenknus entledigt“. Sie muß aber „mit aufsleggungh ihrer rechten handt up ihre linke brusth zu godt und sinen hilgen“ gesichern, geloben und leiblich schwören, „daß sie selbst noch niemandt von ihrerwegen heimlich noch offentlich nichtz vurwenden angangen gegen unsern gnädigen Herrn und den Hoff und die von Boikhum noch derselben obrichkeidt underthanen Inwonern schutz noch schirms verwandten soll noch woll und hin fürder sich des gardens in clevischen landen enthalten und bei leibs strasse vermeiden woll so gewiß godt helfe“.

 

Nicht selten kam es vor, daß gute Freunde oder Bekannte sich für das Wohlverhalten des Verhafteten verbürgten, wenn er freigelassen werde. Anno 1574 den 17. Oktober wird „der kleine Mester Jakob Schnider von der Horsth seiner übertredungh halber als dar er er nächtlicher weill aus Boukhumer grawen negst dem frihow hoinder (-Hühner) nemmen wolde in die von Boukhum hafftungsh ingezogen“. Da sitzt er einen Tag, dann wird er „solcher hafftungh“ auf „vurbitt“ einiger Freunde entledigt. Er muß aber versprechen, „dieser gefenknus halber nicht heimlich noch offentlich noch mit worden oder wercken gegen unsern gn. Herzog und Herrn den hoff von Boukhum und die stadt noch derselben obrichkeit und underthanen“ irgend etwas zu unternehmen. Damit er solches „steiw und vesth“ halte, hat er „solches mit auffstreckungh zweher fingern gesichert und gelobt zu godt un sinem hilgen worde“. Die „Bürgen Bernhard Soeding und Jakob Glertz haben zu mehrerer Sicherheit an stadt g. Jakob solches mit handtastungh an handen von Schultheiß, Bürgermeister und Radt angelobt und eine urphedet mit einem leiblichen Eydt gethan“.

 

1581 vergreift sich ein Jörge Barkhaus „tho hoffstede“ an seinen Vater und wird „gefenklich eingezogen“. Er wir „auf vurbitt guder Leuthe“ freigelassen und schwört Urfehde. Seine Bürgen Wilhelm Kremer der J u n g e u n d J o h a n W i n k s g e l o b e n , f a l l s s i c h i h r F r e u n d J ö r g e n „ w i e d e r b i n e e n B o i k h e m o d e r i n d e n f r e d e p o e l e n (Stadtgrenzsteinen) v e r g r i f f l i c h h a l t e n w e r d e“, a l s d a n n „w i e d e r u m b i n h a f f t u n g s l i e b e r n w o l l e n“ o d e r a u c h d i e „B r ü c h t e n s e l b s t b e z a l e n“ w o l l e n. Wer also als Bürge eintrat, nahm volle Verpflichtung auf sich und zwar mit „Handttastung“, mit Handschlag an Eides Statt, wie es auch bei folgender Urfehde angedeutet wird. „anno 1627 den 9. Octobris als Dietrich Rombergh wegen etzlicher geübter Schlegerei und gewaltdatten am 6. H. in der von Bochumb hafftungh angehalten und heut dato obengeschrieben uff vurbitt guter Leute alß Wesseln Stenen Johann Ernst und Melchiorn Schillingh oder Koster der gefenknuß erledigt und erlassen mit der bescheidenheit daß gemelter Diederich mit uffgerichteten zweyn fingern seiner rechten handt zu Godt und seinem heiligen Evangelio gelobet und geschworen das ehr noch jemandt vonn seinetwegen dieser gefenknuß und anhaltenshalber gegen unsern G(nädigen) f(ürsten) und hern Ihr. G. Unterthanen denn hoff oder auch die Stadt von Bochum derselben Underdahnen und einwonern schutz noch schirms verwanten nichts daetlichs noch ungüdtlich vornehmen noch zu geschehen gestatten niemandt von seinetwegen vornehmen noch gebrauchen soll noch woll sondern sich jederzeit mit ordentlichen rechten (begnügen) laßen soll und woll. Dessen zu mehrer sicherheit gedachter Diederich rombergh abgemelter drey personen alß Stenen Ernst und Koster vor die brüchte und urphede zum bürgen gestalt w e l c h e z u h a n d e n S c h u l t h e i ß b ü r g e r m e i s t e r u n d r a e t a n g e l o b e t j e d e r z e i t e i n z u h a l t e n und hat diederich dieselb bürgen widderumb schadloß zu halten versprochen zu handen aller bürgen“.

 

1684 den 10. Oktober wird Rotger Danckbar aus „Lair“ (Laer) in Haft genommen „wegen moidtwilliger überfahrungh bei der Kirmissen“. – Er hatte einem Zimmerknecht „drey wunden inß lieb gestochen“. Auf „vürpitt seynes stiffvaders und andrer nachbarn und guiter leude“ wird er freigelassen. Er schwört „urphede“ mit „aufgestreckten zwehen fingern seiner forderhandt“ und versichert, seine beiden Bürgen, die „b e i d e s a m p t u n d e i n j e d e r s u n d e r l i n g s m i t u n t e r s e t z u n g h I h r e s l i e b s h a b u n d g u i t - t e r“ sich für ihn einsetzen, schadlos zu halten.

 

Wenn bei einer Urfehde Bürgen angenommen wurden, suchte man die Sicherheit des Haltens wohl dadurch zu erhöhen, daß man Hab und Gut des Betroffenen zu Gunsten der Bürgen in Pfand nahm. Das geschah z. B. 1594, als ein Didrich von Kornharpen „Johan Kleifman darselbst binnen der Stadt Bouchum in Didrichen Stratmanns Behausung einen Zauberer und werwulf geschulden , der der bauren vieh beruffet“. Didrich von Kornharpen leistet die gewöhnliche Urfehde und gelobt, sich jedenfalls „nur mit gewöhnlichen Rechten zu behelffen“. D e r „B e h a f f t e t e“ s a m t s e i n e n E l t e r n H e i n r i c h D r e c k m a n n u n d R ö t g e r P a ß - m a n n m ü s s e n „s a m t u n d b e s o n d e r s b e i v e r p f e n d u n g i h r e r g u e t e r d i e g e -s e t z t e n B ü r g e n s c h a d l o s h a l t e n“, falls die Urfehde nicht gehalten wird. Es wird auch wohl eigens ausgemacht, daß die Urfehde Erstattung des angerichteten Schadens oder Zahlung der verwirkten Brüchten oder Strafen voraussetzt. 1607 wird berichtet: „demnach Johann Lakenbruch in dieser abgewichenen gestrigen Petri Kirmessen ahn Henrich Becker sich tödtlich vergriffen, denselben tödtlich verwundet, wie gleichfalls ahn Gerharden zur Steghe sich vergangen und daher durch Schultheiß Bürgermeister und Rhaet in hafftungh gezogen – als ist er auf fürbitt seines Junchern und guter Bürger der hafftungh entlassen, dergestalt d a s e r d e n v e r w u n d e t e n o b g. f ü h r a l l e n D i n g h e n k l a g l o s h a l t e n“ und sich an den Bochumern nicht rächen will.

 

1687 auf Petri Stuhlfeier kommt der Möller zu Sunthum, „Schulten tho Sunthum natürlicher Sohn“ in Haft. Er besuchte die Bochumer Kirmeß und zwar etwas gründlich und lange. Dann „hat er nächtlicher weill mit gewald auß der porten (Stadttor) gewold mit villen unnützen wordten sich vernehmen lassen und ein stück aus der wandt des portenhauses gestoßen“. Doch „uff vürbitt vieler gutten Borger und freunde“ wird er freigelassen. Er leistet auf übliche Art die Urfehde mit Hinzufügen „a u c h d i e n a c h f o l g e n d e n B r ü c h t e n (Strafen) g e- w i ß l i c h z u b e z a h l e n“.

 

Wer Urfehde schwören mußte, hatte auch wohl noch eigens zu versichern, daß er sich künftig besser aufführen wollte.

 

Hören wir: „Anno d. 1661 den 20 July alß Michell Nörte wegen dessen das sich ungebürlich gegen seine Eltern verhalten deßwegen in Hafftungh genohmen und aber auff heute dato vielfestiges anhalten und Bitten seines Vatters N. Nörte und Ebberten Küppers seines Nachbaren deroselben erlassen. So hat darauff ein gewöhnliche urpfedt gethan und geschworen, solche seine Hafftungh gegen Ihro Churs. Dhv. Den Hoff zu Bochum Schultheiß Bürgermeister und Rhadt dieser Stadt eingesessenen und sonderlich gegen obg. Klegerin oder sunsten jemandt anders durch sich selbst oder andre, in keinerley Weise oder Wege zu rechen, s o n d e r n s i c h h i n- f u r t e r g e g e n s e i n e E l t e r n u n d O b r i g k e i t w i e s i c h g e b ü r t g e h o r s a m z u V e r h a l t e n“.

 

Wenn aber das Gericht glaubte, die Versicherung künftigen Wohlverhaltens ablehnen zu müssen – und das war meist bei landfremden unehrlichen Gesellen der Fall, für die ja auch niemand Bürge sein wollte – so verband sich mit der gewöhnlichen Urfehde die „ewige Verweisung aus der Stadts Bottmäßigkeit“. So wurde 1696 ein Mann aus Bonn Diebstahls halber zwei Stunden an den Schandpfahl vor dem Rathause gesetzt und nach „gethaner Urfehde auf ewig verwiesen und von den Stadtdienern und Pförtnern aus den Fredepälen“, aus den Grenzen der Stadt gebracht.

 

Anno 1708 am 28. Dezember stand Hans Jürgen von Beveren vor dem Stadtgericht. „In peinlicher Inquisitionssache wird zu Recht erkandt, daß Angeklagter wegen in dieser Stadt als benachbahrten örthern begangenen Diebstähle öffentlich an der pranger zu stellen mitt 6 Ruthen auszustreichen undt nach aufgeschworener Urphede hiesiger Stadt Bottmäßigkeit a u f e w i g z u v e r w e i s e n s e y“. Bei der „Streichung mit Ruthen“ versichert er, sein Leben zu bessern, worauf die Strafe „auf 3 Ruthen“ herabgesetzt und Hans Jürgen durch die Stadtdiener und Pförtner aus dem Stadtbereich verwiesen wird.

 

Das Bürgerbuch berichtet keinen Fall, daß ein Verwiesener trotz seiner Urfehde wiederkehrte, schweigt also auch darüber, ob das aus Achtung des Urfehdeschwures – Bruch der Urfehde galt als Meintat – oder im Gedenken des Prangers geschah.

 

Impressum

1925 Bochum Heimatbuch

 

Herausgegeben im Auftrag der Vereinigung für Heimatkunde von B. Kleff.

 

Verlag und Druck

Schürmann & Klagges

1. Band

 

An diesem Heimatbuche arbeiteten mit:

 

Staatsanwaltschaftsrat Dr. G. Höfken

Bergassessor Dr. P. Kukuk, Privatdozent an der Universität Münster

Rektor B. Kleff, Leiter des Städtischen Museums

Redakteur A. Peddinghaus

Redakteur F. Pierenkämper

Lehrer J. Sternemann

Studienrat Dr. G. Wefelscheid

Gustav Singerhoff

Wilma Weierhorn

sämtlich in Bochum

 

Die Federzeichnungen besorgte Graphiker Ewald Forzig

die Scherenschnitte Frl. E. Marrè / die Baumphotographien Ingenieur Aug. Nihuus

den übrigen Buchschmuck Druckereileiter Erich Brockmann

sämtlich in Bochum

 

(Zitierhinweis 2012)

Bernhard Kleff, Hg.: Bochum. Ein Heimatbuch. Bochum 1925. Bochumer Heimatbuch Bd. 1