Eine Klasse für sich.
Joseph Sternemann.
Du denkst, ich würde dir von der Zigarettenmarke „Pinguin“ erzählen. Fehlgeschlossen! Ich rauche keine Zigaretten, und daher läßt mich diese Marke völlig kalt.
Kennst du das Straßendreieck Hellweg, Südhellweg und Brüderstraße? Weißt du, daß böse Menschen spöttischer Weise den Hellweg „Friäthiälw“ und den Südhellweg „Suphiölw“ nannten? Da hockten die alten Bochumer „Pohlbüörger“, so genannt, weil sie innerhalb der die Stadtfeldmark begrenzenden „Fredepöhle“ wohnten. Du siehst, der Name sagt`s dir schon: Eine Klasse für sich!
Die hatten auch so ihren Stolz. Von den übrigen Stadtbürgen sonderten sie sich mehr oder minder ab. Sie feierten u. a. ihre eigenen Feste. Höre, wie sie noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts Fastnacht feierten. Du wirst mir dann beipflichten: Eine Klasse für sich!
Stelle dir Fritz Kortebusch mit der Fastnachtsmütze auf dem Kopfe vor. – Übrigens war unser Fritz auch ein Hellweger. Er wohnte nämlich in der Krimm, und ich verstehe nicht, wie die Hellweger sein Denkmal nicht für sich in Anspruch genommen haben. Platz hatten sie doch. – Also Fritz Kortebusch mit der Fastnachtsmütze. So und wie er mit einem langen blauen Kittel angetan, zogen am Fastnachtssonntag die jungen Hellweger Burschen durch das Dorf – Verzeihung – durch die ehemals einzige Vorstadt Bochums von Haus zu Haus, um Wurst, Speck und Schinken zu erheischen. Und dabei sangen sie folgendes Liedchen:
„Heißa, Faslowensgeck!
Hier`n Stahuhl un do `n Stauhl,
Giet us äine Mettwuorst,
Lot dat Meßken sinken
Deipe in dän Schinken,
Lot us nich so lange stohn,
Wi meit noch `n Hüsken widder gohn.“
An einer langen, hölzernen Gabel trug man die ergötzlichen Sachen des lieben Borstenviehes durch die Straßen. Wer nicht geschlachtet hatte, zahlte mindestens ein „Kaßmännken“ = 25 Reichspfennige „in `t Gelog“, d. i. das Zusammengelegte. Heute sagt man dafür Vergnügungskasse. War der Rundgang beendet, dann ging`s an die Zubereitung der ergatterten Genüsse in der Wirtschaft Scharpenseel am Neumarkt, weiland Pferdemarkt. (Die Scharpenseelsche Wirtschaft hatte später Laarmann, heute Withake.)
Derweil hatten sich auch die alten Fahrgänge der Hellweger eingefunden. Sie saßen und hockten bei gutem Wetter auf den am Neumarkt lagernden Buchenstämmen, die dort zu Brennholz verarbeitet wurden. Bei schlechtem Wetter zog man allerdings den Aufenthalt im Scharpenseelschen Saale vor. Alle rauchten ihr Pfeifchen, alle tranken ihren Klaren, und alle taten sich gütlich an den zunftgemäß zubereiteten Mettwürsten, Schweinsrippen usw. Daß dabei bald eine gehobene Stimmung aufkam, wer wollte es bezweifeln! Man soll dabei aber auch gerauft haben. (Aber das dürft ihr nicht weitersagen.)
Doch da höre ich fragen: „Und – wo blieben die Frauen?“ – Gemach! Unser Herrgott hat zuerst den Adam erschaffen und hernach die Eva. So dachten die Hellweger, und daher kamen die Frauen nach den Männern an die Reihe.
Fastnachtsmontag war`s. Dann backte man aus dem in „Gelog“ befindlichen Gelde Rodonkuchen, die am Nachmittag bei einer guten Tasse Kaffee auf dem Scharpenseelschen Saale verzehrt wurden. Alle Hellweger Frauen und jungen Mädchen durften zu diesem Fastnachtskaffeeklatsch erscheinen. Sie waren dazu durch einen Ansager eingeladen worden. Und nun lieber Leser, kommt der Höhepunkt der Feier. Die Hellweger Männerwelt paßte vor Beginn des gemeinsamen Kaffees wohl auf, welche Frauen noch nicht erschienen waren. Fehlte nur noch eine, so wurde sie auf einen hölzernen Esel, der auf Rollen lief, unter lautem Jubel der Anwesenden in feierlichem Zuge herbeigeholt. Sie war die Heldin des Tages. Einer Schritt vor dem Esel her und blies die Klarinette. Dabei kamen manchmal Töne heraus, daß die Leute sagten: „Dat lutt, as wänn mä in `n liegen Emmer d . . . . und schmitt `n dä Trappe herunner.“
Doch meine Geschichte ist noch nicht aus. War der Kaffee vorüber, dann begann der große Fastnachtsball, der bis in die frühe Morgenstunde währte.
Daß namentlich die jungen Burschen am Fastnachtsdienstag noch keine Lust verspürten, ihrer gewohnten Arbeit nachzugehen, kann man verstehen. An diesem Tage fertigten sie den „Strohkerl“ oder den „Bachus“ an, der am Aschermittwoch höchst feierlich im „Dränkepoot“ am Neumarkt begraben wurden.
Ja, ja, die Hellweger!
Eine Klasse für sich!
1925 Bochum Heimatbuch
Herausgegeben im Auftrag der Vereinigung für Heimatkunde von B. Kleff.
Verlag und Druck
Schürmann & Klagges
1. Band
An diesem Heimatbuche arbeiteten mit:
Staatsanwaltschaftsrat Dr. G. Höfken
Bergassessor Dr. P. Kukuk, Privatdozent an der Universität Münster
Rektor B. Kleff, Leiter des Städtischen Museums
Redakteur A. Peddinghaus
Redakteur F. Pierenkämper
Lehrer J. Sternemann
Studienrat Dr. G. Wefelscheid
Gustav Singerhoff
Wilma Weierhorn
sämtlich in Bochum
Die Federzeichnungen besorgte Graphiker Ewald Forzig
die Scherenschnitte Frl. E. Marrè / die Baumphotographien Ingenieur Aug. Nihuus
den übrigen Buchschmuck Druckereileiter Erich Brockmann
sämtlich in Bochum
(Zitierhinweis 2012)
Bernhard Kleff, Hg.: Bochum. Ein Heimatbuch. Bochum 1925. Bochumer Heimatbuch Bd. 1