Die Tierwelt unserer Steinkohlenmoore.

 

Dr. P. Kukuk.

 

Wer die heimatliche Scholle ganz verstehen will, darf sich nicht mit dem Landschaftsbilde, mit ihren Bewohnern und ihrer Geschichte begnügen, kann sich auch nicht auf die kulturelle oder wirtschaftsgeschichtliche Eigenart seiner Heimat beschränken. Er muß tiefer schärfend sich in die Vergangenheit versenken, um den Werdegang der Heimat geistig mit zuerleben. Erst die Kenntnis der Vorvergangenheit eröffnet ihm das volle Verständnis der ihn umgebenden heimatlichen Umwelt. Gang besonders trifft das für den Bewohner der roten Erde zu. Sie birgt in den „schwarzen Diamanten“ die Kraftquelle aller technischen und wirtschaftlichen Fortschritte, um deren Besitz uns die ganze Welt beneidet. Wollen wir das Werden der Kohlen verstehen, müssen wir versuchen, ein Bild jener viele Millionen von Jahren zurückliegenden Zeit zu gewinnen, in der unsere Steinkohleflöze entstanden.

 

Nachdem Ergebnis unserer Forschungen stellten die heutigen Steinkohlenflöze zur Steinkohlenzeit weitaus-gedehnte Waldsumpfmoore mit einer ziemlich eintönigen, aus Farnen, Bärlapp- und Schachtelhalmgewächsen bestehenden Pflanzenwelt dar, die sich an den Abfall des alten armorikanisch-variskischen Gebirges anlehnend in fast endloser Ausdehnung von Oberschlesien aus durch Westfalen über Holland, Belgien, Frankreich bis nach England erstreckten. Während aber das Pflanzenkleid unserer karbonischen Waldsumpfmoore schon oft behandelt worden ist, kann sich die die Stätten der Steinkohlenbildung belebende Tierwelt eines gleichen Interesses nicht erfreuen. Die Ursache liegt wohl in der verhältnismäßig großen Seltenheit und äußern Unscheinbarkeit der tierischen Reste innerhalb der Steinkohlengebirgsschichten. Es darf daher nicht Wunder nehmen, daß noch in vereinzelten neueren Werken, die die Lebewelt des Karbons behandeln, geradezu auf die Armut an Tieren in unsern karbonischen Sumpfwäldern hingewiesen wird. Hier wird sogar behauptet daß trotz der für Fossilien günstigen Erhaltungsmöglichkeiten, d. h. reichlichen Vorhandenseins des aus seinem Tonschlamm bestehenden Nebengesteins der Kohlenflöze, weder Fische, noch Amphibien, höchst selten Insekten, kaum Gliederflüßer und nur hier und dort Muschelreste gefunden würden. Anderseits wird die Meinung vertreten, daß die früheren Steinkohlenmoore geradezu von einer Unzahl der verschiedenartigsten Tierformen bevölkert gewesen seien. Wer selbst Gelegenheit hatte, fossile Reste des Steinkohlengebirges zu sammeln und zu bearbeiten, wird keiner dieser Anschauungen vorbehaltlos zustimmen können. Wie so oft, liegt auch hier die Wahrheit in der Mitte.

 

Wie die in den geologischen Museen der verschiedenen Kohlenbezirke vorhandenen Belegstücke und die Literatur beweisen, kann gar kein Zweifel darüber walten, daß der Formenreichtum der Tierwelt zur Steinkohlenzeit – wenigstens in seiner Gesamtheit – schon recht ansehnlich war und neben niedern Tieren auch zahlreiche Arten von Weichtieren und Gliedertieren wie von Fischen und Amphibien umfaßte. Gleichzeitig läßt sich aber auch feststellen, daß in den einzelnen Kohlenablagerungen der verschiedenen Länder manche sonst wohl verbreitete und bekannte Tierformen entweder völlig fehlen, oder zu den größten Seltenheiten gehören, oder erst in letzter Zeit beobachtet wurden, und zwar gerade in dem am besten aufgeschlossenen und größten Becken, wie z. B. im Ruhrbezirk. Sind doch erst wenige Jahre vergangen, seitdem der Verfasser auch aus dem Ruhrrevier das Vorhandensein der aus vielen andern Kohlenbezirken längst bekannten „Insektenreste“ mitteilen konnte. Spuren „amphibisch“ lebender Tiere, d. h. der höchstentwickelten Wirbeltiere dieser Zeit, sind sogar erst vor einigen Monaten, und zwar auf einer Zeche unmittelbar vor den Toren Bochums von ihm nachgewiesen worden.

 

Diese Tatsache beweist, daß die auf Grund mehr oder weniger glücklicher Sammlungsergebnisse behauptete verhältnismäßig große Spärlichkeit tierischer Reste eines einzelnen Steinkohlenbezirks ohne weiteres noch nicht für die Armut der karbonischen Tierwelt als solche spricht. Es darf eben nie vergessen werden, daß die Erhaltung der leicht verwechslichen tierischen Reste immer nur besonders günstigen Umständen zu verdanken ist, und daß ganz naturgemäß von diesen versteinerten bezw. inkohlten Resten wieder nur ein verschwindend kleiner Teil der Beobachtung zugänglich wird. Diese Ungleichmäßigkeit in dem Auftreten von Tierformen in den einzelnen Kohlenlagerstätten erklärt sich – mindestes zum großen Teil – zwanglos aus der verschiedenen Lage der Kohlenablagerungsstätten zum Meere. Da die einen als meeresnahe, die anderen als meeresferne oder binnenländische Vorkommen in geologisch ganz verschiedenartigen Bildungsräumen und unter sehr voneinander abweichenden geologischen und klimatologischen Bildungsbedingungen entstanden, wird es verständlich, daß die einzelnen Kohlenbezirke sich heute ebenso wie durch besondere pflanzliche Sondermerk-male auch durch gewisse tierische Eigenformen unterscheiden. Der Nachweis einer weit größeren Mannigfaltigkeit der Tierwelt in den angrenzenden Kohlengebieten des Ruhrbezirks (belgische Becken und französische Bezirke des Pas du Nord und des Pas de Calais), ganz besonders aber in den nordamerikanischen Kohlenvorkommen läßt erhoffen, daß bei sorgfältigerem Beobachten der vielen Aufschlüsse des Ruhrbezirks und fleißigem Sammeln auch im Ruhrbezirk noch manche neue Funde gemacht werden.

 

Auf Grund der tatsächlich vorliegenden Funde und in Verbindung mit der im wesentlichen vorhandenen Gleichartigkeit der Wachstums- und Lebensverhältnisse der heutigen Waldsumpfgebiete und der Karbonmoore sind wir jedenfalls zu der Annahme berechtigt, daß auch die dem alten variskischen Gebirge, dem heutigen rheinischen Schiefergebirge, vorgelagerten Waldsumpfmoore der Steinkohlenzeit von einer verhältnismäßig reichen, wenn auch teilweise noch einfach gebauten Tierwelt belebt waren. Sicherlich waren die offenen mit reinem Süßwasser erfüllten Wasserstellen der Moore und die vielleicht stellenweise noch brackischen Lagunen des alten Tieflandgebietes mit unzähligen niedern Tieren, Muscheln, Schnecken, Krebsen und Ganoidfischen besetzt, tummelten sich auf dem Strande und am Rande der ausgedehnten Wasserflächen luftatmende Wirbel-tiere, während über den Wassern und in dschungelartigen Gebüschen der Schachtelhalme und in den dichten Baumgruppen der Schuppen- und Siegelbäume zahllose Insekten umherschwirrten. Noch fehlten aber alle die Tierformen, ohne die wir uns eine entsprechende Landschaft der Jetztzeit nicht vorstellen können. Es gab weder Schlangen und Eidechsen auf dem Lande, noch Säugetiere im Dickkicht der Wälder, weder Vögel im Gezweig der Bäume, noch das Heer der buntfarbigen Schmetterlinge, fleißigen Bienen, summenden Mücken und anderer Netzflügler, die von den Blütensäften der Blütenbäume leben.

 

An Hand der zahlreichen, vorwiegend in den letzten Jahrzehnten in den Steinkohlengruben gemachten und in den geologischen Museen sorgfältigst aufbewahrten Funde, ergibt sich folgendes. Die zahlreichsten und bekanntesten Vertreter neben den vornehmlich die Ozeane der älteren Karbonzeit bewohnenden Urtieren (mit den ungewöhnlich großen Formen der Fusulinen und Schwagerinen) stellen P f l a n z e n t i e r e (Schwämme, Korallen, Seelilien und andere Stachelhäuter) dar. Dazu kommen ferner die die weiten Wasserflächen der Küstenmoore, aber auch das nahe Meer bewohnenden W e i c h t i e r e oder Mollusken, und zwar sowohl Armfüßer und Zweischaler als auch Schnecken sowie stabförmige und eingerollte Kopffüßer. Ihre Reste treten uns heute bald als Einzelreste in fossilführenden Schichten, bald massenweise in gewissen Muschelbänken, sogen. „Muschelflözen“, entgegen, die den Schiefertonschichten des Steinkohlengebirges eingelagert sind. Je nachdem die sie beherbergenden Schichten Süßwasserablagerungen sind, oder Ueberflutungen des nahen Meeres ihre Entstehung verdanken, sind auch die in ihnen auftretenden fossilen Reste scharf voneinander unterschieden. Während die „Süßwassermuschelschichten“ in einer durch eingehendes Studium des Steinkohlengebirges von Tag zu Tag sich mehrenden Zahl von Schichten gefunden werden, sind die „marinen Reste“ nur auf einige wenige, verhältnismäßig dünne, aber in der Horizontalen auf weite Entfernungen durchgehende Horizonte, die sogenannten „marinen Schichten“, beschränkt. Auf die in diesen Schichten auftretenden einzelnen Gattungen und ihre Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte der karbonischen Tierwelt und die wissenschaftliche und praktische Gliederung des Steinkohlengebirges soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.

 

Damit sich das Lebensbild der Waldsumpfmoore den heutigen Verhältnissen anpaßt, fehlen im Bilde der Tierwelt auch „Würmer“ nicht, deren kleine Schälchen sich besonders häufig auf der Unterseite von Farnblättern und anderer Pflanzenreste sowie auf Molluskenresten ansammeln. Sogar ihre Kriechspuren werden gelegentlich beobachtet.

 

Außer diesen Tieren sind in den karbonischen Sumpfgebieten aber auch schon G l i e d e r t i e r e häufig. Wir kennen sowohl niedere Krebstiere, wie die kleinen, einfach gebauten „Muschelkrebse“, „Blattfüßer“ und die der Länge und der Quere nach dreilappigen „Asseln“, als auch höher entwickelte „Kruster“, die schon einen völlig gegliederten Körper, d. h. Kopf, Mittelleib und Hinterleib sowie gesonderte Gliedermaßen erkennen lassen. Allein aus Nordfrankreich sind nach P r u v o s t von niedern Krebstieren rund 14 Arten bekannt geworden. Vornehmlich die Süßwasser- Kohlenbecken, insbesondere das Saarrevier, haben gute Belegstücke für das Auftreten echter, den Asseln nahestehenden „Krebsgattungen“ von teilweise auffallender Größe geliefert. Erreichten doch vereinzelte Arthopleurenarten im Höchstmaß eine Breite von 40 bis 50 cm und eine Länge von 75 bis 100 cm. Sie haben vermutlich eine räuberische Lebensweise geführt, da man nach W a l t h e r im Leibe eines dieser Tiere einen Insektenflügel fand. Von den Krebsarten scheinen einige blind gewesen zu sein und wie Würmer zeitweise im Schlamm vergraben gelebt zu haben. Auch im Ruhrbezirk sind Kruster nicht ganz selten. So sind sie aus dem Hangenden des Flözes Röttgersbank der Zeche Wolfsbank bei Essen und aus den jüngeren Piesbergschichten bei Osnabrück beschrieben, wo sie sich in der Ausfüllungsmasse eines Baumstumpfes im Hangenden von Flöz Mittel fanden. Vor kurzem wurde auch in der Gasflammkohlengruppe Westfalens (Zeche Zweckel) unter andern Resten von Gliederfüßern ein Exemplar mit einem über 30 mm langen Schwanzstachel gefunden, das zu den Merostomaten, und zwar der Untergruppe der Schwertschwänze (Yiphosuren) gehört. Es handelt sich um Formen, die der Gattung Prestwichia Scheeleana nahestehen. Von diesen Tieren sind auch Fährten aufgefunden worden.

 

Groß war auch die Zahl der l u f t a t m e n d e n Gliedertiere, und zwar der Tausendfüßer, Spinnen, Skorpione und Insekten, aus deren sehr einfachen karbonischen Formen sich im Laufe der Zeiten jene ungeheuer große Tiergruppe der Gliedertiere entwickelte, die heute weit über 350 000 lebende Arten zählt, also die gesamten heutlebenden Tierarten um das Vielfache überragt. Als die niedrigsten der etwa 3000 Arten zählenden Arthropodenformen der Steinkohlenformation, die anscheinend die limnischen Kohlenbecken besonders bevorzugten, sind zunächst mehrere Arten der „Urvielfüßer“ oder „Tausendfüßer“ zu nennen, die noch durch kiemenartige Anhänger auf ihre Lebensweise im Wasser hinweisen. Besonders häufig sind I n s e k t e n, deren Artenzahl nach H a n d l i r s c h schon etwa 1000 beträgt, obwohl nach demselben Verfasser echte Insekten zum ersten Male im untern Oberkarbon erscheinen. Es sind in der Hauptsache „Blattiden“, d. h. verhältnismäßig große und plumpe Tiere, deren heute lebenden Vertreter die Küchenschabe darstellt. Dazu gehören ferner „Ur-Insekten“ mit zwei noch gleich großen, stets horizontal ausgespreizten, aber nicht zurücklegbaren Flügelpaaren. Ihre Entwicklung zum fertigen Tier war sehr verschiedenartig. Während die einen, flügellos dem Ei entschlüpfend, schon völlig ausgebildete Tiere darstellten, verbrachten die andern Tiere vermutlich den größten Teil ihres Daseins kiemenatmend und nur der eigenen Ernährung lebend im Larvenzustand im Wasser. Nach verschiedenen Häutungen gingen sie dann, ohne eine als Puppenstadium zu bezeichnende Ruhezeit zu durchlaufen, als geschlechtsreife Tiere ans Land, um sich dann mehr flatternd als fliegend fortzubewegen. Auf diese Weise entgingen sie vermutlich auch ihren ärgsten Feinden, den räuberischen Fischen. Ihre fossilen Reste sind meist sehr bescheiden und beschränken sich auf Teile der Flügel oder im günstigsten Falle auf Bruchstücke des Körpers. Doch genügt meist schon die kennzeichnende scharfe Nervatur der Flügelreste, um eine wissenschaftliche Bestimmung der Träger der Flügel zu ermöglichen. Auch bei den Insekten begegnen wir der auffallenden Erscheinung, daß sie eine Riesenfauna darstellen. Nach H a n d l i r s c h betrug ihre durchschnittliche Flügellänge 5 cm. Von den 400 Arte des untern und mittlern Oberkarbons hatten 20 mehr als 10 cm, 6 mehr als 20 und 3 sogar mehr als 30 cm Flügel, eine Länge, die in späteren Zeiten nicht entfernt mehr erreicht wurde. Möglicherweise trug zu ihrer ungehemmten Entwicklung das Fehlen der Insekten vertilgenden Vögel bei. Die meisten karbonischen Insekten waren übrigens brutale Räuber, da ausgesprochene Beziehungen zur Pflanzenwelt nicht festzustellen sind. Vielleicht deutet die stellenweise überraschende Ähnlichkeit gewisser Blattidenflügel mit Farnfiederchen auf eine schutzgewährende Anpassung der Insekten an die sie umgebende Pflanzenwelt hin. Aber auch höherstehende unmittelbare Vorläufer unserer heute lebenden Formen sind vorhanden. So kennt man „Ureintagsfliegen“ aus dem französischen Steinkohlengebirge, ferner „Urnetzflügler“ aus dem schottischen Karbon mit einem heute nicht mehr vorhandenen dritten kleinen Flügelpaar, also insgesamt sechs Flügeln, sowie Urheuschrecken, sogenannte Urgespenstheuschrecken und Urschaben. Es fehlen auch riesige libellenähnliche Tiere mit sehr großen facettierten Augen nicht, die mit ihrer rd. 70 cm messenden Flügelspannweite unsere größten heute lebenden Schmetterlinge weit überragten und großen Vögeln vergleichbar sind. Nicht selten sind weiter spinnenähnliche Tiere und die neu aufgeteilte Gattung der „Skorpionspinnen“ mit Schwanzstachel und „Steinkohlenskorpione“. Sehr zahlreich sind die „Steinkohlenspinnen“ vertreten, von denen 16 Arten bekannt geworden sind. Nicht ohne Interesse ist hier die an einzelnen fossilen Heuschrecken angestellte Beobachtung, daß gewisse Tiere auch die von den heutigen Heuschrecken bekannten Tonapparate aufweisen, also befähigt waren, gewisse Laute auszustoßen, während bei anderen Urinsekten sogar bunte Zeichnungen und irisierende Farben auf den Flügeln nachgewiesen wurden. Dadurch büßt die früher oft geäußerte Behauptung von der völligen Stille in der Natur der Steinkohlenzeit und der Farblosigkeit der Tierwelt sehr viel von ihrer Wahrscheinlichkeit ein.

 

Auffallenderweise sind Insektenreste im rheinisch-westfälischen Karbon, die, wie erwähnt, zum ersten Male erst vor einigen Jahren gefunden wurden, immer noch recht selten, obwohl Pruvost aus gleichaltrigen Schichten Nordfrankreichs zahlreiche Arten beschrieben hat. Der Verfasser kennt aus dem Ruhrbezirk bis heute erst sechs bescheidene Reste. Die Ursache für die Seltenheit der Funde liegt in erster Linie wohl in der ihnen wegen ihrer Unscheinbarkeit bis jetzt geschenkten geringen Beachtung. So waren auch aus Nordfrankreich im Gegensatz zu England und Belgien vor einem Jahrzehnt noch kaum irgend welche Reste bekannt. Nach der auf Veranlassung des Verfassers von Professor F. M e u n i e r kürzlich vorgenommenen Bestimmung der westfälischen Reste handelt es sich um meist weniger guterhaltene Flügelreste von Protoblattiden (Kakerlaken). Ein im Hangenden des Flözes 18 der Zeche Baldur gefundener Flügelrest (von 18 mm Länge und 8 mm Breite) wurde von ihm als „Balduria archaica n. sp“ bestimmt und beschrieben. Andere Kohlenbecken sind weit reicher an Insektenresten als der Ruhrbezirk. So wurden allein im Karbon von Wettin rd. 390 verschiedene Insektenreste gefunden.

 

Von Wirbeltieren sind nur die Fische zahlreich vertreten, und zwar vorwiegend durch Zähne und Schuppen. Vollständige Exemplare sind immer noch selten. Agassiz erwähnt in seinem großen Fischwerke allein 152 verschiedene Arten aus dem Steinkohlengebirge. Sie stellen allerdings noch sehr unvollkommene Urbilder der uns vertrauten Formen dar. Wir kennen aus den verschiedenen Kohlenbecken rd. 70 verschiedene „Selachiergattungen“ (Knorpelfische) mit vielen den heutigen Haien und Rochen verwandten Raubfischgattungen, ferner heterozerke, feinschuppige „Ganoidfische“ (Knorpel- und Knochenfische) sowie „Lurchfische“ mit Kiemen und Lungen, welche als Übergangsgruppe der Ganoidfische zu den Amphibien zu betrachten sind. In einer Kennelkohlenschicht von Yorkshire sind nach Walther allein 24 Fischarten beobachtet worden. P r u v o s t beschrieb aus dem nordfranzösischen Karbon 25 Arten, während W i l l e r t aus Saarbrücken nur drei verschiedene Fischarten erwähnt. Von den als Schmelzschupper bezeichneten und durch feste rhombische, mit Schmelz überzogene knöcherne Schuppen, kräftige, leicht gebogene Flossenstacheln und freiliegende Kiemenpaare ausgezeichneten Ganoidfischen kennt man insgesamt etwa 20 Gattungen, die teils im süßen Wasser, teils im Meere lebten, wie der „Amblypterus“. Ihren besonderen Eigenschaften entsprechend sind sie wohl Raubfische gewesen. Sie dienten wieder anderen als Nahrung, die ihrerseits, wie aus dem Inhalt der Koprolithen (fossile Kotballen) hervorgeht, von den großen Ganoidfischen verzehrt wurden. Aus dem rheinisch-westfälischen Karbon ist dem Verfasser mit Ausnahme eines in einer Toneisensteinknolle aus einer marinen Schicht gefundenen Palaeonisciden nur eine größere Zahl verschiedenen Ganoidfischarten zugehöriger Einzelschuppen und Zähne bekannt, die teilweise noch der wissenschaftlichen Bestimmung harren. Von den im geologischen Museum der Berggewerkschaftskasse befindlichen und zu den Crossopterygieren zu stellenden Schuppen konnte der Verfasser eine von der Zeche Graf Bismarck stammende Schuppe als Rhizodopsis sauroides Williams, eine andere aus dem Hangenden des Fläzes Catharina der Zeche Auguste Viktoria als Rhizodopsis Wachei n. sp. Pruvost und eine Ganoidschuppe als Radinichthys Renieri n. sp. Pruvost bestimmen. Außerdem sammelte der Verfasser aus dem Hangenden des Flözes Chatharina der Zeche de Wendel und aus dem Hangenden des Flözes Finefrau der ehemaligen Zeche Lukas je eine der bekannten rhombischen hochglänzenden, mit seinen punktförmigen Eindrücken versehenen Schuppen, die dem großen Megalichthys Hibberti Agassiz eigen waren. Daneben sind mehrere, vermutlich Selachiern zugehörige Flossenstacheln, die sogenannten Ichthyodorulithen, bekannt geworden. Ein aus dem Eisensteinflöz der Grube Friederika bei Bochum stammender Stachel von C r e m e r als Orthacantus cylindricus Agassiz bestimmt worden. Ein eigentümliches, auf Zeche Hanibal gefundenes Hartgebilde hat Jaekel als Oracanthus Bochumensis Jaekel beschrieben. Reste von Lurchfischen oder Knochenfischen sind aus dem Ruhrbezirk bis jetzt nicht bekannt geworden.

 

Wohl das Hauptinteresse verdienen aber die am höchsten entwickelten Formen der karbonischen Wirbeltierwelt, die geschwänzten Uramphibien, welche in dieser Formation zum ersten Male als selbständige Tiergruppe in Erscheinung treten. Dagegen sind sichere Spuren von den aus den Amphibien sich entwickelnden Reptilien mit Ausnahme eines aus dem Karbon Saarbrückens beschriebenen Fundes, eines angeblichen Insekten fressenden Sauriers, mit Sicherheit noch nicht nachgewiesen. Ob die außerdem aufgefundenen „Koprolithen“ (wurstförmige Gebilde mit vielen Fischschuppen) auch notwendig fischfressende Saurier voraussetzen, scheint noch fraglich zu sein. Bemerkenswerterweise sind Skelettreste dieser Amphibien im eigentlichen Karbon sehr selten, obwohl sie in der Permformation häufig sind. Um so öfter treten uns dagegen ihre „Fährten“, so z. B. in den Coal measures Nordamerikas und insbesondere Kanadas, entgegen. Sie lassen erkennen, daß eine größere Zahl von verschiedenen Arten dieser Tiere ziemlich gleichzeitig gelebt haben muß. Im Gegensatz hierzu sind im Karbon Europas bzw. Deutschland einwandfreie Nachweise der sogenannten Schuppenlurche sehr selten. Meines Wissens sind bis jetzt nur „Fährten“ aus dem Karbon von Zwickau und aus dem Millstone Grit von Tintwistle in Cheshire (England) bekannt geworden. Dagegen hat der weitausgedehnte, durch Nordfrankreich, Belgien, Holland und Westfalen sich erstreckende nordwesteuropäische Kohlengürtel bis jetzt keinen Beleg für das Auftreten dieser Tierformen geliefert.

 

Es bedeutete daher für den Verfasser keine geringe Überraschung, als ihm im vorvergangenen Jahre von der Betriebsleitung der Zeche Präsident bei Bochum mitgeteilt wurde, daß beim Nachreißen einer Strecke auf der 7. (= 430 m) Sohle eine Sandsteinplatte mit einer größeren Zahl von F u ß a b d r ü c k e n freigelegt worden sei. Eine sofort vorgenommene Untersuchung bestätigte die Meldung und ergab das Vorhandensein zweier ziemlich parallel nebeneinander laufender, reliefartig herausgewölbter gleichartiger Fährten, welche, nach der Verschiedenartigkeit der Spurweite zu schließen, einem größeren und einem kleineren Tiere derselben Gattung, vielleicht einem männlichen und weiblichen Exemplare, oder einem Tiere mit seinem Jungen, angehören können. Die teilweise über Kreuz stehenden, mehr als faustgroßen Ballenabdrücke lassen mit einiger Sicherheit vier kurze plumpe Finger und fünf ebenso gestaltete Zehen erkennen. Die spitz zulaufenden Zehen deuten auf Bewehrung mit Krallen hin. Meist treten die ziemlich gleich großen Fährten paarweise auf, und zwar die linke Vorderfußfährte zusammen mit der linken Hinterfußfährte. Die Schrittlänge beträgt etwa 20 cm, die Spurweite der rechten Fährte etwa 31, der linken Fährte rd. 38 cm. Da irgendwelche Skelettreste, Schwanzeindrücke oder Koprolithen nicht gefunden wurden, muß lediglich aus den vorhandenen Positivabgüssen der Abdrücke auf die Gestalt und die Lebensweise der die Fußeindrücke im plastischen Tonschlamm hervorrufenden Tiere geschlossen werden. Vergleicht man die Fährten mit den besonders aus der Buntsandsteinformation bekannten Abdrücken der sogenannten Handtier oder Chirotherien mit kleiner vierfingeriger Hand, dem fast doppelt so großen vierzehigen Fuß nebst dem externen Fersenanhang und dem schnürenden Gang, so ergibt sich, daß die Erzeuger der Fährten der wahrscheinlich zu den Dinosauriern zu stellenden Gruppe der Chirotherien nicht angehören können. Die Abdrücke ähneln vielmehr den schon oben erwähnten aus Amerika beschriebenen Fährten von Uramphibien, d. h. amphibisch lebenden Tieren, deren bis zu 1m große Skelettreste wiederholt in den Schiefertonausfüllungsmassen ehemaliger Baumstümpfe gefunden wurden. Demnach waren es wechselwarme Tiere, welche eine vollständige Metamorphose durchliefen, d. h. in ihrer Jugend, im Larvenstadium im Wasser lebend, durch zahnbesetzte Kiemen atmeten und erst später, als geschlechtsreife Tiere ans Land gehend, die Lungenatmung aufnehmen. In ihrem Äußern an Salamander und Krokodile erinnernd, vereinigten diese Tiere in sich sowohl noch die besonderen Eigenschaften der später aus ihnen hervorgegangenen Amphibien: das zweiköpfige Hinterhauptgelenk, als auch der Reptilien: die besondere Zahn- und Schuppenbildung. Von den heutigen Lurchen unterscheiden sie sich u. a. durch den knöchernen Kopfpanzer, den die Bauchseite bedeckenden Schuppenpanzer, die von Knochenringen umgebenen Augen und das kleine im Schädeldach befindliche Loch. Wegen des mit knöchernen Platten versehenen Hautpanzers, der den aus Knorpel bestehenden Schädel bedeckte, sind sie unter dem Namen der „Stegocephalen“ (Panzerköpfige) zusammengefaßt worden.

 

Übereinstimmend mit dem Bilde, das wir uns von den Lebensbedingungen dieser Tiere machen dürfen, liegt auch die Fährtenfläche auf der Zeche Präsident soweit sich das mit einiger Sicherheit ermitteln läßt, in einer Zone nicht marinen Ursprungs, d. h. in Süßwasserschichten, zusammen mit verkohlten Landpflanzenresten. Es handelt sich also um landbewohnende Tiere, die am Strande der flachen See, in Flußniederungen und sumpfigen Ufergebieten wohnten und sich vermutlich von Würmern, Schnecken, Insekten oder durch gegenseitigen Fraß nährten und nur zum Eierlegen ins Wasser zurückkehrten. Der äußeren Gestalt nach waren es entweder molchähnliche Tiere etwa vom Aussehen des kiemenatmenden „Branchiosaurus“ aus dem Rotliegenden oder aber salamanderartige Tiere mit langgestreckter Schnauze, wie der „Archegosaurus“ aus den permischen Lebacher Schichten.

 

Rückblickend zeigt uns die kurze Betrachtung der in den die Steinkohlenflöze begleitenden Gesteinsschichten enthaltenen fossilen Reste, daß die Tierwelt unserer Steinkohlenmoore, verglichen mit der der Jetztzeit, noch formenarm und eintönig gewesen sein muß. Wie die Pflanzenvertreter nur aus Landpflanzen bestanden, so setzten sich auch die tierischen Vertreter, abgesehen von Weichtieren und Fischen, vorwiegend aus luftatmenden Landtieren zusammen. Dabei weisen sie aber schon Vertreter sämtlicher heute lebenden Tierfamilien auf, die sogar die Grundzüge aller heutigen Tiergruppen erkennen lassen. Die Tierwelt war also den noch einförmigen Pflanzenvertretern des karbonischen Landschaftsbildes aufs zweckmäßigste angepaßt.  

 

Impressum

1925 Bochum Heimatbuch

 

Herausgegeben im Auftrag der Vereinigung für Heimatkunde von B. Kleff.

 

Verlag und Druck

Schürmann & Klagges

1. Band

 

An diesem Heimatbuche arbeiteten mit:

 

Staatsanwaltschaftsrat Dr. G. Höfken

Bergassessor Dr. P. Kukuk, Privatdozent an der Universität Münster

Rektor B. Kleff, Leiter des Städtischen Museums

Redakteur A. Peddinghaus

Redakteur F. Pierenkämper

Lehrer J. Sternemann

Studienrat Dr. G. Wefelscheid

Gustav Singerhoff

Wilma Weierhorn

sämtlich in Bochum

 

Die Federzeichnungen besorgte Graphiker Ewald Forzig

die Scherenschnitte Frl. E. Marrè / die Baumphotographien Ingenieur Aug. Nihuus

den übrigen Buchschmuck Druckereileiter Erich Brockmann

sämtlich in Bochum

 

(Zitierhinweis 2012)

Bernhard Kleff, Hg.: Bochum. Ein Heimatbuch. Bochum 1925. Bochumer Heimatbuch Bd. 1