Vorwort

 

Wenn die Vereinigung für Heimatkunde Bochum im Jahr 1985 nach langer Zeitspanne ein neues “Bochumer Heimatbuch” vorlegt, kann der Leser davon ausgehen, daß die Verantwortlichen für diese Veröffentlichung dem Begriff “Heimat” und dem, was sich damit verbindet, einen unverändert hohen Stellenwert beimessen, aber auch, daß dieser in ihren Reihen vielfach überdachte und diskutierte Begriff in mehrerer Hinsicht neu zu fassen oder mit erweiterten Inhalten zu versehen war.

Es galt einerseits, Heimatkunde im wohlverstandenen Wortsinn zu repräsentieren und zu fördern. Maßstab dafür mußten die soliden und kenntnisreichen Arbeiten in den Vorläuferbänden der “Bochumer Heimatbücher” ebenso sein wie der gewandelte Anspruch an wissenschaftsorientierte Publikationen und die breite Basis gegenwärtige heimatkundlicher Aktivitäten.

Andererseits galt es, Ansätze von Heimattümelei, einengendem Lokalpatriotismus, trügerischer Idylle und noch verhängnisvolleren Tendenzen, durch die die heimatkundliche Arbeit in der Vergangenheit teilweise überschattet und bedroht war, konsequent aufzudecken und auzuschalten.

Der achte Band der “Bochumer Heimatbücher” ist – und das unterscheidet ihn von der Konzeption der bisherigen Veröffentlichungen unserer Vereinigung – einem Themenbereich gewidmet: dem Wandel in Architektur und Stadtgestalt.

Die Wahl fiel nicht von ungefähr auf diesen zentralen Komplex: Der 2. Weltkrieg und die Folgeentwicklung haben das Gesicht unserer Stadt völlig verändert. Nach der Wiederaufbauphase, die bis in die sechziger Jahre dauert, vollziehen sich in Bochum seit einer Reihe von Jahren umfangreiche städtebauliche Ausbau- und Konsolidierungsentwicklungen, die erneut das Erscheinungsbild unserer Stadt grundlegend verwandeln. U-Bahnbau, Um- und Ausgestaltung einzelner Stadtbereiche, Parkhäuser, Fußgänger- und Einkaufszonen, Platzgestaltung, gezielte Straßenvereinigungen und Wohnumfeld-Maßnehmen, um nur diese wenigen Stichworte zu nennen, prägen das Bochum der siebziger und achtziger Jahre in auffälliger Weise. Dem galt es, in kritischer und konstruktiver Wiese Rechnung zu tragen.

Hinzu kommt , daß dieses Arbeitsfeld im weiteren Sinn die Aktivitäten unserer Vereinigung in den zurückliegenden Jahren in besonderem Maße gefordert hat. Zu erinnern ist unter anderem an die erfolgreichen Auseinandersetzungen um ein Stadtparkhotel, das denkmalwerte Rathaus, Beckmanns Hof an der Universität sowie um Park und Haus Tusculum in Weitmar, das nun in seiner übertragenden Bedeutung erkannt und in seinem Bestand endgültig gesichert sein dürfte.

 

Zu erinnern ist aber auch an “Niederlagen” des Denkmalschutzes in Bochum: z.B. im Bereich der ehemaligen Zeche Lothringen in Gerthe und bei den “Barbarastuben” in Hordel.

 

Es ist zu hoffen, daß die neue Wertschätzung, die dem Aufgabenfeld “Heimatkunde” in Stadt und Land gleichermaßen deutlich zuwächst – auch und gerade als Folge der gegenwärtigen Denkmalschutzpolitik Nordrhein-Westfalen-, und die steigende Sensibilität für die Belange des Denkmalschutzes in der Bevölkerung, bei Politikern, Verwaltungsfachleuten und Wissenschaftlern dazu beitragen werden, daß langfristig die beiden folgenden Ziele erreicht werden: Wahrung und Förderung der wesentlichen noch existierenden Bauzeugen unserer Vergangenheit und ihre funktionsgerechte Integration in die Arbeits-, Wohn- und Lebenssituation der Bevölkerung.

 

Ein Anwachsen des Identifikationsgrades der Bochumer mit ihrer Stadt und ein Anstieg der Attraktivität Bochums und seiner Region im übergreifenden Vergleich wären gewiß die notwendigen Folgen.

 

Es ist dem neuen Band der “Bochumer Heimatbücher” zu wünschen, daß er in diesem Sinn seinen Beitrag leistet.

 

Die Vereinigung für Heimatkunde Bochum dankt allen Autoren des achten Bochumer Heimatbuchs, insbesondere Herrn Hans Hanke, der als Autor mehrerer Beiträge die Herausgabe des gesamten Bandes besorgt hat, für die geleistete Arbeit.

 

Eberhard Brand

Vereinigung für Heimatkunde Bochum e. V.

 

 

 

Wandel in Architektur und Stadtgestalt,

 

das Thema dieses Bandes, wird bereits im Titelbild angesprochen. Es fixiert wichtige Stadien Bochumer Stadtentwicklung, die so gegenübergestellt den erstaunlichen Wandel der letzten 140 Jahre veranschaulichen.

 

Zu sehen sind die graphischen Umsetzungen dreier Ansichten Bochums: Die obere Silhouette zeigt “Böckhem” (Bochum) 1634, gezeichnet von Hollar für Merians “Topographie” von 1647. Die Propsteikirche überragt hier eine Stadt Ackerbürgerlichen Charakters. Diesen Charakter und diese Gestalt behielt Bochum mehr oder weniger bis 1840, um sich dann im Zuge der sprunghaften Industrialisierung zur mittleren Ansicht zu entwickeln, die ein Druck auf einem Notgeldschein aus dem Jahre 1923 wiedergibt. Kirchen und Schornsteine sind die prägenden Bestandteile, die Propsteikirche bleibt beherrschend. Das ändert sich erst nach dem 2. Weltkrieg. 1985, in der unteren “Skyline”, überragen die Verwaltungsgebäude von Justiz, Post und Arbeitsamt das Bild. Die deutliche Sichtbarkeit des Markenzeichens “einer bekannten Automobilfirma aus Stuttgart” ist hier nicht Schleichwerbung, sondern für eine wahrheitsgemäße Darstellung unverzichtbar. In überraschender Symbolträchtigkeit haben in dieser Silhouette neue Industrie und Verwaltung die dicht aneinander gedrängt stehenden Umrisse von Propsteikirche und Förderturm zu musealen Resten vergangener Zeiten werden lassen.

 

Die Gestalt der Stadt Bochum veränderte sich im Laufe der Zeit aufgrund veränderter Ansprüche der jeweiligen Bewohner, bei denen immer neue Vorstellungen entstanden, was eine “schöne Stadt” sei, und die meist das vorher Bebaute verwarfen. Die Ursache dieses Vorgangs zu untersuchen, ist Anliegen dieses Bandes, soll aber oft nur ein Aufzeigen und Anreißen der Probleme bleiben.

Die Verurteilung älterer Bausubstanz läßt sich spätestens seit 1842 feststellen. Der Stadtchronist Volkhart vertritt bereits die Ansicht, nunmehr seien die Einwohner Bochums bemüht, “durch Verbesserung der Straßen und Verschönerung der Häuser der Stadt ein besseres Ansehen zu geben, . . . und ein geschmackvolleres Haus nach dem anderen (werde) in und um Bochum gebaut”. 1886 sieht Bürgermeister Lange die vormals so verschönerte Stadt nur noch als den “uralten Stadtteil, der aus engen, winkligen Straßen mit unregelmäßig erbauten Häusern” besteht, und hebt dagegen die neuen “regelmäßigen, herrlichen Straßen. . . mit stattlichen massiven Neubauten” hervor, “die einen großstädtischen Eindruck hervorrufen”. Doch eben diesen, im ornamentfreudigen Historismus geschaffenen Eindruck will Wilma Schumacher in ihrer Dissertation über das Bochumer Stadtbild von 1936 nicht mehr gelten lassen. Sie lobt die klar gegliederten Bauten, die nach 1925 entstanden und “Ausdruck für den neuen Bauwillen, welcher Schönheit und Zweckmäßigkeit verbindet”, sind. Der Wiederaufbau in seiner krassen Ablehnung der Vorkriegsstädte, seinem Wunsch nach mehr Luft und Licht und seinen anderen Vorstellungen von repräsentativer Architektur, schlug dann breite Schneisen durch die Stadt. Eine Planung, die heute – 1985 – in ihrer Qualität wiederum in Frage gestellt ist. Wieder gilt das Lob dem augenblicklich Entstehenden: Rathaus-Center, Bahnhofsvorplatz, Dr.-Ruer-Platz, Drehscheibe, Husemannplatz und Gerberviertel, die in manchem die “Humanität” der mittelalterlichen Stadt wiederzugewinnen trachten.

So gibt es heute eine Rückbesinnung auf verlorene Bauqualität, die Ausdruck findet in Fassadenwettbewerben, Denkmallisten und dem Ruf nach der “neuen Altstadt”. Es ist dabei oft müßig, darüber zu reflektieren, ob es bessere oder schlechtere Zeiten waren, die diese früheren Bauformen hervorbrachten. Doch notwendig scheint es zu sein, vergangene Bauformen und den gegenwärtigen Umgang mit ihnen frei von falscher Romantisierung zu betrachten, um zu einer bewußteren Beobachtung der Vorgänge gelangen zu können.

Dieser Band soll dazu Informationen geben, womöglich Diskussion anregen. Die Zielsetzung geht damit über die eines historischen Bildbandes oder Architekturführers hinaus.

Die Informationen bleiben allerdings lückenhaft. Weder die Zeit bis zum 18. Jh. Noch die Zeit der Weimarer Republik sind hier angemessen vertreten. Die Schwerpunkte des Bandes liegen auf der Industrialisierung, dem Wiederaufbau und der Gegenwart, den Zeitspannen, die die Gestalt Bochums am nachhaltigsten bestimmt haben.

So ist der Band in vier Teile gegliedert: In Teil 1 – Einführung – wird versucht, dem Leser einen persönlichen Einstieg in die Thematik zu vermitteln und den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhang herzustellen, ohne den eine Beurteilung baulicher Vorgänge nicht sinnvoll erfolgen kann, rein ästhetisiernd bleiben muß. Teil 2 – Das 19. Jahrhundert – und Teil 3 – Das 20. Jahrhundert – beschäftigen sich dann mit den baulichen Vorgängen der jeweiligen Epoche. Dabei sind die Beiträge zur Westtangente (“Heusnerviertel”) und zur Schlegel-Brauerei nicht nur informativ, sondern auch von höchster Aktualität. Sie sind als Bereicherung der gegenwärtigen Diskussionsgrundlage gedacht. In Teil 4 – Anhang – finden sich dann thematische und editorische Zusatzinformationen.

Einige Beiträge sind Wiederaufnahmen aus älteren Publikationen, die in diesem Zusammenhang wichtig zu sein schienen, andere sind Quelleneditionen, den größten Teil stellen jedoch für diesen Band konzipierte Beiträge.

 

Bochum stellt sich – und das war zu erwarten – nicht als der gestalterische Höhepunkt aller Stadtentwicklung dar. Keine traditionsgebundene, gewachsene Stadtgestalt kann sich hier präsentieren. Schmerzhafte Umbrüche sind bis heute im Stadtbild spürbar geblieben, damit verbundene Verluste an alten Orientierungspunkten nicht zu übersehen. Stadtgestaltung als öffentliche Aufgabe könnte hier, ohne falsche Harmonisierungszwänge, Defizite ausgleichen. Ein Bewußtsein hierfür zu schärfen, ist ohne die Kenntnis der Vergangenheit und auch der uneingelösten und verworfenen Alternativen kaum möglich.

Die Lösungen, die bisher gefunden wurden, sind in manchem besser und in manchem schlechter als in anderen Städten, immer aber typisch für das Ruhrgebiet, in dem, wie kaum irgendwo sonst, Städte häufig Gelegenheit hatten, sich grundlegend umzugestalten.

Ortskundige werden in diesem Band vielleicht, die anonyme Baumasse an Ruhr und Emscher durch das Beispiel Bochum differenzierter zu sehen.

Für die jeweilige schnelle und kompetente Hilfe bedanke ich mich – auch im Namen der Vereinigung für Heimatkunde Bochum e. V. – bei MariaMenzel, Wiltrud Petsch-Bahr, Margret Stein, Hans W. Bimbel, Günter Knops, Joachim Petsch, dem Stadtarchiv, Katasteramt, Planungsamt, Presseamt Bochum und dem Verlag Schürmann & Klagges, der – das sei hier angemerkt – das Bochumer Heimatbuch jetzt 60 Jahre betreut.

 

Hans H. Hanke

Bochum, im November 1985

 

Impressum

1985 Bochumer Heimatbuch

 

Band 8

 

Herausgegeben von der Vereinigung für Heimatkunde Bochum e.V.

 

Verlag:

Schürmann & Klagges

 

Titelbildgestaltung:

„Schorsch-Design®" Georg Wohlrab, Heusnerstraße 17, Bochum

 

Gesamtherstellung:

Druckhaus Schürmann & Klagges,

 

Bochum ISBN-Nr. 3-920612-06-X