Die Bochumer Schützenbahn.

Das Haus Nummer 9.

 

Volker Frielinghaus

 

Bochum zeigt sich als die Stadt des Ruhrreviers mit der am wenigsten ausgeprägten Geschichtsschreibung. Die Pausierung der Reihe ”Bochumer Heimatbücher” seit 1958 ist Ausdruck davon. Unter diesen Umständen erscheint es nicht überraschend, daß auch die hiesige Hausforschung unterentwickelt ist. Selbst über markante Gebäude wie Rittersitze und historische Kirchen liegt gedruckt kaum Verfügbares vorüber Bürger- und Arbeiterhäuser noch weniger. Aufgrunddessen bezweckt dieser Beitrag die Hausforschung unter Einschluß des familiären Umfeldes anhand der ”Schützenbahn 9” ein kleines Stück nach vorn zu bringen, eine Schneise zu schlagen.

Das im Jahre 1914 abgebrochene Gebäude lag – vom Kaufhaus Baltz aus gesehen – auf halber Höhe links von .der heutigen kombinierten Fußgängerzone/Tiefgarageneinfahrt gleichen Namens. Das historische Grundstück befand sich zur Hälfte auf der heutigen Schützenbahn und zum anderen Teil auf dem Grundstück des Hauptgebäudes der Sparkasse Bochum. Bei seiner Darstellung entwickelt der Verfasser den von Günther Hötken benutzten Ansatz zur Geschichte zweier Bochumer Bürgerhäuser fort.

Die Schützenbahn gehört zu den ältesten Straßen Bochums. Sie war Bestandteil eines wohl seit 1321 bestehenden älteren Straßenringes, der den Ort vom Reichshof im Nordosten im Zuge Weilenbrink, Schützenbahn, alte Grabenstraße, Spitzberg, Katthagen zum Reichshof mit einer Gesamtgebietsfläche von etwa 8 Hektar umschloß. Die Bezeichnung ”Schützenbahn” erinnert an die Bochumer Bürgerwehr mit ihren Schießübungen für Kriegszeiten, aber auch für Schützenfeste. Der Nestor der Bochumer Stadtgeschichtsschreibung Franz Darpe berichtete 1894: ”In Essen, wo schon 1449 ‘op ten Sunnendach na Johannes ante portam Latinam unser Stadt Schütten eren Vogel schoten‘, fanden, wie wohl auch in Bochum jetzt wieder, die Übungen im Scheibenschießen auf der ‚Schüttebahn‘ statt und schließlich ein Vogelschießen, wobei ebenfalls der König mit einer altertümlichen Ehrenkette geschmückt wurde”.

Die ”strategische Lage” der Schützenbahn in der Nähe der Stadtbefestigungund ihre Bedeutung für die innere und äußere Sicherheit brachte es mit sich, daß der Flurschützen- und Nachtwächter 1598 auch ”nach der Schüttebahn hinan” blasen mußte. Im Einzelnen war dies der Weg, wo er in der Nacht stündlich sein Signal gab:

—An Rölholes Hause nach dem ”Wölebrinke” hinab,

—hinter Roffhakens Hause auf dem Graben,

—an Dirich Wittkensteins Hause nach der Schüttebahn hinan,

—an Pütmanns Hause nach dem Kerkhove,

—am Rathause,

—an Mönters Hause,

—hinter Brabecken Hause ”na dem Friehove”,

—an Johann Beckmartns Hause nahe der (Brügge-) Brückstraße,

—an Gerd Hönen Hause ”auf der Trappen” und schließlich

—auf dem Kirchhofe gegen den Vikarien Hof.

 

 

Bis zum Abbruch vor dem ersten Weltkrieg gehörte das in diesem Beitrag schwerpunktmäßig abgehandelte Haus Schützenbahn Nr. 9 zu den bemerkensweitesten Gebäuden der Stadt Bochum. Zwar berichtete der Bochumer Lokalhistoriker Karl Arnold Kortum 1790, die 120 Schritte lange Straße habe ”meist schlechte Häuser”, das hier besprochene Objekt gehört aber wohl nicht hierzu. Zumindest wurde es unter Berücksichtigung des überlieferten Baustils seit etwa 1815 zu einem bemerkenswerten städtebaulichen Akzent umgestaltet. Jedenfalls schreibt Justizrat Dr. Albert Mummenhoff 1921, das Haus Schützenbahn Nr. 9 sei neben dem Heintzmannschen Haus am Hellweg ”als sehenswertes altes und stilgerechtes Haus von sachkundiger Seite in Vorträgen genannt. Leider ist die Besitzung im Jahre 1914 vom Erdboden verschwunden, als in der Nachbarschaft das große Warenhaus errichtet wurde” Mit der Einrichtung des Bochumer Heimatmuseums in dem ehemaligen Rittersitz Haus Rechen hinter dem jetzigen Bochumer Schauspielhaus 1921 wurde dort die markante Treppe des Gebäudes und ein Photo des Objektes untergebracht. Der Zweite Weltkrieg zerstörte die bauliche Überlieferung.

Wenden wir uns der Geschichte des Hauses Schützenbahn 9 zu, ergibt sich folgendes Bild: Mitte des 18. ahr-hunderts war der Landrichter Bölling Eigentümer der Besitzung. Am 13. 10. 1763 verkaufte er diese an den Bochumer Juden Abraham Lehmann. Dieser veräußerte das Anwesen am 9. 1. 1770 für 600 Taler an Johann Peter Schragmüller (* Remscheid 15. 3. 1722, + Bochum 10. 2. 1776) und dessen Ehefrau (°°12. 10. 1766) Christine Margarthe Bemberg (* Bonfeld bei Heilbronn 16. 6. 1725, + Bochum 22. 4. 1781), Witwe des Kriminalrates und Landrichters Christian Sigismund Landmann (* 1715, + 1759). Die Schragmüllers, die seit 200 Jahren insbesondere lutherische Geistliche waren, stammen aus dem Main-Neckar-Raum. Sie sind aus der Pfalz über das Bergische nach Bochum gezogen. Johann Peter, der erste Jurist der Familie, kam 1750 von Hattingen nach Bochum. Er wurde im gleichen Jahr Advokat und fungierte seit 1760 als Hofrat beim Landgericht Bochum. Nach dessen Tode 1776 wurden bis zur Großjährigkeit der Erben – zwei Söhne und eine früh verstorbene Tochter – Bürgermeister Flügel und Hoffiscal Starmann (Herbede) zu Kuratoren ernannt. Nach Eintritt der Großjährigkeit der beiden Söhne fand 1789 unter dem Vorsitz des Richters von Esselen die Erbaus-einandersetzung statt. Der zweite Sohn Wilhelm Johann Friedrich (* Bochum 23. 3. 1764, + Spillenberg bei Steele 21. 2. 1821) erhielt das zu 600 Reichstalern veranschlagte Wohnhaus Schützenbahn mit Scheune und Krautgarten, während der ältere als Kanonikus am Stifte St. Maria zu Bielefeld in anderer Weise abgefunden wurde. Der neue Eigentümer Wilhelm Johann Friedrich diente als Leutnant der Hessischen Legion im Dienste der Vereinigten Niederlande. Während der Franzosenzeit fungierte er vom 29. 2. 1812 bis zum 14. 3. 1813 als Munizipalrat in der Maire Bochum. Am 10. 12. 1789 heiratete er in Höntrop Theodora Karolina Winholdina Sophia Freiin von Düngelen (* Haus Dahlhausen 12. 8. 1756, + Schwerte 3. 6. 1828), deren seit 1228 bekanntes Geschlecht seit 1413 auf dem Rittersitz Haus Dahlhausen in Hordel nachweisbar ist. Sie war die Schwester des Karl Ferdinand Franz Philipp Amalius Freiherr von Düngelen, der ohne männliche Nachkommen und ohne Testament am 21. 6. 1802 starb. Die Auseinandersetzung mit ihrer Schwester Amalie Christine Giesbertina Frie-denke Isabella (* 1754, + 1826), seit 1788 verheiratet mit dem Kommissionsrat Heinrich Jakob Abraham Kals, endete 1809 damit, daß die beiden Bochumer Rittersitze Haus Dahlhausen und Haus Havkenscheid dem vererblichen Eigentum der Schragmüllers zugesprochen wurden.

Am 28. 4. 1797 verkaufte Wilhelm Johann Friedrich Schragmüller das später so bezeichnete Haus Schützenbahn Nr. 9 an den Weinhändler Friedrich Mummenhoff. Diese Familie ist über Jahrhunderte in Bochum nachweisbar. Das Bochumer Kirchbuch nennt den an der Brückporte wohnenden Bierbrauermeister Heinrich Mummenhoff (* 1681, + 26. 1. 1741). 1708 leistete in Bochum ein Mummenhoff den Bürgereid. Im Mittelalter erscheinen Namensträger in Hamburg, seit 1486 sind sie im benachbarten Eickel nachweisbar. Die für die Schützenbahn Nr. 9 relevanten Familienangehörigen sind der diesem Text beigefügten, aus dem Kirchenbuch erarbeiteten, Stammtafel zu entnehmen. Die Grundakten von Bochum Band II, Artikel 273 enthalten den Wortlaut des Kaufvertrages vom 28.4. 1797:

 

”Nachdem der Herr Lieutenant und Canonicus Schragmüller den durch die Duisburger Intelligentzzettel und den Kanzel Ruf öffentlich bekannt gemachten Verkauf seiner hiesigen Wohnbehausung auf der Schüttebahn Feld Nro 139 gelegen, durch Mich mit unterschriebenen Justitz Commissarium hat vollziehen lassen, und der hiesige Weinhändler Friederich Mummenhof, solche Wohnbehausung mit Scheune, Garten, Hofraum überhaupt mit allen zubehörigen Recht und Gerechtigkeiten auch etwaigen Kirchensitz und Gruben in dem angestandenen öffentlichen Verkaufs-Termin für die Summe von zwei Tausend Reichsthaler Berliner Courant als Meistbietender entstanden und dafür den Zuschlag erhalten auch anheute diesen KaufSchilling verwendenmässig völlig baar bezahlt und berichtiget hat.

So wird demselben nicht nur hierüber von mir quitirt, sondern auch das anerkaufte Haus mit allen seinen Zubehörungen und Gerechtigkeitn wie ich solches bishero besessen zum vollen Eigenthum hiermit nochmalen überwiesen und bis daran die beforderte Edietale abgelaufen gegen alle Ansprüche demselben verwendenmässig zu.

Vertreter und gebührende rechtliche Eviction zu leisten versprechen und zugleich ein Wohllöblichen Stadt gericht von mir gebeten wird, demnächst das vorbesagte Haus auf den Namen des Ankäufers und jetzigen Besitzers Friederich Mummenhof im Grund und Hypothequen Buche zu überschreiben.

Urkündlich meiner des Verkäufers und des zum Verkauf adhibierten Justiz Commishari auch Zeugen und Unterschriften.

So geschehen Bochum den 28 ten April 1797.

Wilhelm Schragmüller

PL .Elscheidt Commissar

(L.S.)

Kalis als Zeugeals Zeuge.“

 

 

In ihrer Vermögensübertragung vom 29. 4. 1826 transportieren die Ersterwerber aus dem Stamm Mummenhoff das Haus Schützenbahn in die nächste Generation. Der älteste Sohn Heinrich Wilhelm (1788-1873) soll das Anwesen unter Einschluß des Weingeschäftes übernehmen:

»Nachdem wir Eheleute Friedrich Mummenhoff und Catharina Elisabeth Frede unterm 2. März 1808 in Betreff unserer vier Kinder und unseres gemeinschaftlichs Vermögens bei dem hiesigen Königlichen Stadtgericht eine Disposition auf wechselseitige Erbes Einsetzung zu errichten für nötig erachtet, demnächst aber drei von unseren Kindern und zwar:

 

1. Elisabeth Wilhelmine an den Kaufmann Peter Schulte in Wenigem

 

2. Johanne Wilhelmine an den Ober Bergamts Secretair Springorum in Dortmund, und

 

3. unser jüngster Sohn Friedrich Wilhelm als Calculator beim hiesigen Königlichen Berg Amt angestellt

 

ausser dem Hause verheirathet sind; so haben wir uns bei unserem gegenwärtigen hohen Alter veranlasst gefunden, eine völlige Auseinandersetzung mit unseren vier Kindern vorzunehmen, und zu dem Ende unsern ältesten Sohn Heinrich Wilhelm, welcher von Kindheit an, im Hause gewesen und das Wein geschäft geführet, nicht allein dieses Geschäft somit Activa und Pashiva nebst den vorräthigen Weinen zu übertragen, sondern demselben zugleich auch unser übriges in der Ehe gemeinschaftlich erworbenes Vermögen, bestehend:

1.)In einem auf deder Schüttebahn belegenenen Wohnhause nebst dahinter befindlichen Scheune und Garten,

und den im Hause selbst gehörenden sämtlichen Mobilien nebst beiden Kirchenbänken,

2.) In dem am Siegen und am Mannsberge gelegenen beiden Stücken Landes, wie solches sämtlich auf unseren Namen im Grund und Hypothekenbuche eingetragen steht. uns überhaupt unser sämtliches be= und unbewegliches Vermögen, es möge Namen haben, wie. und bestehen worin es wolle, aus gutem und freien Willen hiermit zu seinem Eigenthum zu übergeben und zu überweisen, und auf seinen Namen im Hypothekenbuch umschreiben zu lassen, wogegen derselbe gehalten seyn soll

1.) unseren übrigen oben genannten drei Kindern zu demjenigen was selbige bereits von uns erhalten haben. nach unserem beiderseitigen Absterben in zwei nacheinander folgenden Jahren, jedoch bis dahin ohne Verzugszinsen zur völligen Abfindung von ihrem älterlichen Vermögen noch folgendes abzugeben, und zu bezahlen, und zwar

1) an unsere älteste Tochter Elisabeth Wilhelmine verehelichte Peter Schulte in Wenigern 500 Reichsthaler sage fünfhundert Reichsthaler gemein Geld,

2) an unsere zweite Tochter Johanne Wilhelmine verehelichte Springorum in Dortmund 500 Rthr. sage fünfhundert Reichsthaler gemein Geld,

3) an unsern jüngsten Sohn Friedrich Wilhelm 800 Rthr. Achthundert Reichsthaler gemein Geld,

2) uns beide Eheleute Friedrich Mummenhoff und Catharina Elisaeth Frede bis zu unserm Gott gefälligen Absterben mit Nahrung und Kleidung und sonstiger nötigen Pflege, welche Eltern in kranken und gesunden Tagen gebühret, nicht allein stets zu versehe‘:, und zu versorgen, sondern es uns auch frei zu lassen; uns im gedachten ihm übergebenenen Wohnhause eine besondere und bequeme Wohnstube nach Gefallen auszuwählen, um nöthigenfalls darin alleine zu leben, wobei ich, der Friedrich Mummenhoff es mir vorbehalte, und von Seite meines Sohnes zugestanden worden, dass ich, um nicht ohne Beschäftigung zu seyn, die im Weingeschäft vorkommende Arbeiten, wie bisher, jedoch nach meinem Gefallen mit verrichten helfe; und da gegenwärtiger Uebertrag zugleich den Zweck hat, dass nach unserem dereinstigen Absterben unter unseren Kindern keine Uneinigkeiten entstehen, so ist selbiger auch unsererseits bei Zeiten und mit voller Geistesgegenwart, ohne Übereilung aus eigenem Willen, wie hiermit geschehen errichtet, und darauf Wort für Wort von uns selbst durch gelesen, weshalb wir selbigen denn auch von unsern Kindern in allen Punkten unverbrüchlich gehalten und befolgt wissen, und ein Königlich Wohllöblich Land- und Stadtgericht gehorsamst bitten wollen, solchen zu mehrerer Befestigung zu confirmiren. Auch von mir dem Sohne Henrich Wilhelm Mummenhoff ist gegenwärtiger Uebertrag nicht allein genehmigt und dankbarlich acceptirt sondern auch dagegen die Verpflichtung übernommen werden, sowohl meinen drei Geschwistern die angegebenen Abfindungsquoten in der festgesetzten Zeit zu entrichten, als auch meinen Eltern bis an ihren Gott gefälligen Todestag zu ernähren und zu verpflegen.

 

Urkundlich haben wir die übertragende Eheleute so wohl als der Uebernehmer diesen Uebertrag eigenhändig unterschrieben. Bochum, den 29ten April Eintausend Achthundert Sechs und zwanzig.

Kreuze + + + der Ehefrau Mummenhoff geb.

Katharina Elis. Frede.

 

p. a. Schantz

 

Friederich Mummenhoff

 

Heinrich Wilhelm Mummenhoff.

pro cop vid.

Baltz.”

 

 

Nach dem Tode von Heinrich Wilhelm Mummenhoff 1873 verkaufte sein Sohn Friedrich Wilhelm (1827-1897) das Anwesen wahrscheinlich an seinen Sohn Julius. 1902 war der Gärtner Heinrich Bürvenich, Friedhoffstraße 24, Eigentümer von Haupt- und Nebengebäuden. In seiner Zeit sind nach der im Stadtarchiv Bochum vorhandenen Gebäudebeschreibung 1429 zu Grundbuch Band 21 Artikel 73 in der zugehörigen 24 qm großen Scheune 2 Pferdeställe mit je einem Pferd und einer Diele sowie auf der Freifläche ein 180 qm großes Treibhaus verzeichnet. Anfang dieses Jahrhunderts firmierte die Schützenbahn 9 unter Grabenstraße 25 und 29. Die dort gelegene Kohlenhandlung war laut Adressbuch die des Otto König. Nach dem Abbruch 1914 wurden Kaufmann Siegfried Alsberg, Kaufmann Otto Fried, Gerichtsassessor Dr. Alfred Alsbergalle in Köln – sowie der Hamburger KaufmannFranz Goldmann gemeinschaftliche Eigentümer. Nachdem 1928 die Kommunalbank AG das Grundstück erworben hatte, ist seit 1941 die Städtische Sparkasse (heute Sparkasse Bochum) Eigentümerin des Grundstücks.

 

Impressum

1985 Bochumer Heimatbuch

 

Band 8

 

Herausgegeben von der Vereinigung für Heimatkunde Bochum e.V.

 

Verlag:

Schürmann & Klagges

 

Titelbildgestaltung:

„Schorsch-Design®" Georg Wohlrab, Heusnerstraße 17, Bochum

 

Gesamtherstellung:

Druckhaus Schürmann & Klagges,

 

Bochum ISBN-Nr. 3-920612-06-X