Haus Weitmar

 

Willi Berneiser

 

Fern im Westen sinkt die Sonne langsam hinab. Letzte Strahlen tasten über das Land. Sie streicheln wie sorgliche Finger über die Felder, die weit ausgedehnt der Neveler Flur zu liegen. Dann fangen sie sich im Geäst der alten Bäume des Weitmarer Schloßparkes und spielen mit dem Gezweig. Eitel spiegeln sie sich in einer Pfütze des ausgetrockneten Schloßteiches, der früheren “Gräfte”, die wie ein Schutzring um das Schloß lag.

In den weitausladenden Kronen der Parkbäume nicken sich die Tauben zur Ruhe. Den ganzen Tag strichen sie durch die Zweige oder schritten über den Waldboden, um Futter zu suchen. Auch die anderen gefiederten Sänger dieses gepflegten Parkes suchen sich langsam ein Ruheplätzchen für die Nacht. Nur eine Schwarzdrossel schwirrt noch unruhig umher.

Reich ist das Pflanzenleben hier. Bäume von hohem Alter und großen Ausmaßen, die schon zur Zeit des 3Ojährigen Krieges ihre Äste gen Himmel reckten, nun aber müde und teilweise morsch dastehen, sind hier zu finden. Trocken ragen ihre Zweige in die Luft. Interessant sind auch zahlreiche andere Gewächse, von denen ein Teil unter Naturschutz steht. Edelkastanien stehen breit und behäbig am Weg. Buchen von gediegenem Wuchs bieten ein malerisches Bild. Blutbuchenblätter leuchten sommertags farbig im Sonnenschein. Die in Deutschland so seltene Eibe ist noch in mehreren Exemplaren im Weitmarer Schloßpark zu finden. Gedrückt stehen die immergrünen Bäume im Schatten ihrer größeren Schwestern. Zahlreiche Ziersträucher, in jüngerer Zeit gepflanzt schließen die Lücken, die die Jahre dem alten Waldbestand zufügten.

Es bleibt noch eine Gruppe von F i n d l i n g e n zu erwähnen, die im Schatten einer alten Eichengruppe liegt. Harte Gebilde sind es, die einst von den eiszeitlichen Gletschern aus dem hohen Norden in unsere Heimat getragen und von früheren Besitzern des Schlosses im Park zusammengestellt wurden. Aus Granit, Gneis, Gabbro, Porphyr und anderen Mineralien bestehen diese Findlinge, die neben Gedenktafeln aus heimischem Ruhrsandstein den Park zieren.

Efeuranken winden sich an der im entferntesten Winkel des Parkes stehenden Kapelle empor. Ihr genaues Alter ist nicht bekannt, doch das verwitterte Gemäuer gibt uns Kunde davon, daß sie schon viele Jahrhunderte über-dauert hat Aus Urkunden der Jahre 1397 und 1398 geht hervor, daß sie schon um diese Zeit bestand. Sie war dem hl. Sylvester geweiht. Sie war wie die Kirchen von Eickel, Stiepel und Uemmingen eine Tochterkirche der Bochumer Peter- und Paulskirche, der jetzigen Propsteikirche. 1471 gab der Bochumer Pastor Johann von Hasenkamp seinem Bruder Wennemar die Erlaubnis, einen Geistlichen (Rektor) anzustellen, dein alle Befugnisse außer Taufe und Begräbnis zustanden. Alljährlich am Andreasabend, dem 29. November wurde um die Zeit des 14. Jahrhunderts auf dem Friedhof der Kapelle der sogenannte Klevinghuser Sackzehnte gesammelt und an die Münsterkirche in Essen abgeliefert, die ihn 1398 erwarb. Das war eine Abgabe des Hofes Klevinghausen, jetzt Diekmannshof und anderer Höfe (vergl. Kindlinger Manuskr. Bd. 109 S. 108 ff und Symann, Wanner Urkundenbuch Nr. 933).

Eine besondere Episode aus der Zeit der Dortmunder Fehde soll nicht unerwähnt bleiben. Es war die Brandschatzung durch den Dortmunder Söldnerführer Bitter von Raesfeld. Wie die Bauernschaften Bisping, Klevinghusen, Nevel, Branthorpe und Eppendorf mußte auch Weitmar eine Plünderung über sich ergehen lassen. Die 40 Reisigen des Söldnerführers mögen nicht schlecht zu Werke gegangen sein, wie die Geschichtsschreibung verrät. Doch nun zurück zur Kapelle. Oft hat sich das schwere eiserne Tor zum alten Friedhof neben der Kapelle geöffnet. Mancher der alten Rekken, die einst hier wirkten, wurde hier zur letzten Ruhe geheftet. Schwere Sandsteintafeln decken die Gräber zu. Geschlechter kamen und gingen, von ihnen soll nun die Rede sein.

Wie viele Anwesen um die Jahrtausendwende, so war auch Haus Weitmar ein Lehnsgut. “Wetmere” war der Haupt- und Schulzenhof, und die Besitzer haben maßgeblichen Einfluß auf Weitmars Geschichte gehabt. Dieses Lehnsgut ‘gehörte zum Kloster Werden. Das Kloster war also Eigentümer und übertrug die Nutzung anderen, den sogenannten Lehnsträgern, die alljährlich Abgaben zu entrichten hatten.

Zur ältesten Geschichte stellt Dr. Höfken folgende Ausführungen zur Verfügung. Wie viele Rittersitze, so ist auch Haus Weitmar aus einem Bauerngut entstanden. Schon früh, noch im zehnten Jahrhundert kam es durch eine Schenkung an die Abtei Werden. Diese ließ den Hof durch den aufsitzenden Bauern bewirtschaften und die Erträgnisse nach Werden abliefern. Abt Gerold (1031 – 50) verlieh den großen Hof (curtis), dem an Unterhöfen angeschlossen waren: einer in Freisenbruch, zwei in Wattenscheid, einer in Kassenberg, einer in Winz und einer in Mellbeck, an die Edelfrau (nobilis) Adelheid, die dem Kloster größere Ländereien in Velbert und Umgegend geschenkt hatte, als Leihgabe auf Lebenszeit zur Nutznießung. Mit dem Aufkommen des Lehnswesens wurde der Hof zu L e h e n an einen Lehnsmann gegeben. Die Namen dieser Ministerialen erfahren wir erst spät aus Urkunden des ausgehenden 14. Jahrhunderts. Damals besaß den Hof der adlige, in Werden auf dem Hause zum Heck wohnhafte, Johann von Lüttelnau, Verwandter des Gerlach von Lüttelnau auf Haus Heven, ebenfalls einem Werdener Lehen. Die Familie stammte von der Burg Lüttelnau zwischen Werden und Kettwig, an die heute nur noch der alte sogenannte Kattenturm erinnert Als 1391 seine Tochter Grete den adligen Johann von Kückelsheim heiraten wollte, versprach ihm Johann von L. mit seiner Frau Karde und seinem Sohn Dietrich als Aussteuer 500 Goldschilde, einer damals üblichen Goldmünze, zu geben und setzte den Hof Weitmar zum Pfande. Nach vollzogener Hochzeit gab der Werdener Abt den Hof Weitmar dem Johann von Kückelsheim zu Lehen. (St. A. Düsseldorf, Werdener Urkunde vom 10. November 1391.) Dieser half seinem märkischen Grafen Dietrich 1. im Kampfe um das Land Bilstein und hatte schließlich für seine Kriegsleistungen eine Forderung von 6 000 Gulden, der Graf machte ihn zum Amtmann von Werden und Hattingen und setzte ihm 1395 als Pfand sein Schloß zu Blankenstein; im darauf folgenden Jahr überließ er ihm die Einkünfte aus den Gerichten und Ämtern Werden und Hattingen. Seit dieser Zeit blieb die Burg Blankenstein noch jahrhundertelang ein adliges Pfandobjekt. Die folgenden Amtmänner mußten nämlich diese Summe, die allmählich auf 1 600 Gulden herunterging, vorstrecken, bevor sie das Amt Hattingen nebst Burg Blankenstein zur Verwaltung erhielten.

Nach dem Tode des Amtmanns Johann von Kückelsheim (1421) gab der Werdener Abt den Hof Weimar an den adligen Wilhelm von Uhlenbrock auf Haus Öfte bei Werden zu Lehen. Dann kam der Hof an die Familie von Galen. Johann von Galen übergab den Hof seinem Sohn Heinrich, dieser trat 1481 sein Lehnrecht an den Bochumer Amtmann W e n n e m a r H a s e n k a m p ab (Darpe, Urk. Buch Nr. 117). Schon vorher hatte Hasenkamp mit der Errichtung eines Rittersitzes auf dem Hof Weitmar, dessen Ländereien der Bauer “Schulte zu Weitmar” bewirtschaftete, begonnen und verlegte dann seinen Wohnsitz nach Weitmar. Das alte Stammhaus seiner Familie auf der Flur Hasenkamp in Stiepel war allmählich verfallen, 1464 hieß es dat wöste hus thoe dem hasenkampe (Darpe a. a. 0. Nr. 97). Die Familie von Hasenkamp war ein Abzweig der Familie von Brüggeney, nachdem sich um 1380 Wessel Brüggeney einen eigenen Sitz auf Hasenkamp gegründet hatte, nannte er sich mit diesem Beinamen, ebenso seine Nachkommen.

Wennemar von Hasenkamp war von 1462 – 88 Amtmann des Amtes Bochum. Am 22. März 1469 sicherte er seiner Frau Christine geb. von Aldenbockum aus dem Hause Wiesche für die 1000 Gulden Brautschatz im Falle seines Todes die Rückzahlung dieser Summe und Wohnung auf dem Hause Weitmar zu (St. A. Düsseldorf, Stift Werden, Urk.). Am 25. Mai 1464 hatte er sich mit den Kindern seines verstorbenen Bruders Heinrich auseinandergesetzt und ihnen den großen Hof Schulte zum Hove in Ückendorf überlassen, während er selbst den Hof zur Aven in Stiepel, den Hof Wevelscheid nebst einem Zehnten von einigen Stiepeler Höfen, ferner den dem St. Georgsstift in Köln gehörigen Zehnten von Eppendorf und Höntrop, den Zehnten von Hafkenscheid und den Buscbmannhof in Grumme erhielt (Darpe Nr. 97).

Hof und Haus Weitmar vererbten sich unter seinen Nachkommen, die Lehnbücher des Stiftes Werden geben uns die einzelnen Belehnungen an: 13. Oktober 1509 sein Sohn Wessel, 26. November 1544 dessen Sohn Wessel, 1559 sein Bruder Johann, 1594 dessen Söhne Wessel und Johann, 1616 Johann, des Letztgenannten Sohn, 1667 dessen Sohn Johann, 1670 wurde sein Sohn Johann Georg, Domscholaster in Paderborn, belehnt, er starb am 8. Februar 1716 und übertrug 1707 seinem Neffen Johann Werner sein Anrecht an Weitmar. Johann Georg ist im Dom in Paderborn beigesetzt, sein Grabmal mit dem Brüggeney-Hasenkampschen Wappen (drei Querbalken) ist noch heute vorhanden. Mit den unverheirateten Söhnen des Johann Werner starb das Geschlecht auf Weitmar aus.

Im 16. Jahrhundert waren neben denen von Hasenkamp auch die von Eickel auf dem Gut ansässig. Nun teilten sich zwei Familien in der Gerechtigkeit. Christine, Tochter des Wessel Hasenkamp, hatte Heinrich von Eickel geheiratet, der sich 1577 auch mit Hof Weitmar belehnen ließ. Sein Sohn Tigges (+ 1627) wohnte auf Weitmar, ebenso sein Bruder Dietrich. Dessen Witwe einigte sich am 2. Juni 1650 mit Johann von Hasenkamp, daß sie gegen Zahlung von 300 Rtl. an sie und 2125 holländische Taler an ihre Kinder auf Haus Weitmar verzichtete. Es war um 1592, als die von Hasenkamp sich ein neues adliges Haus hier erbauten. Nach der Reformation faßte die lutherische Lehre im Jahre 1534 auch in Weitmar Fuß. Die Kapelle auf Haus Weitmar wurde jetzt für die Lutheraner benutzt, die Familie von Eickel wandte sich der neuen Lehre zu, während die Hasenkamps katholisch blieben. Pastor Hackmann – von 1572 bis 1614 Pastor – war der erste lutherische Pfarrer in Weitmar. Bezeichnenderweise heiratete er ein Fräulein von Hasenkamp. Die Hasenkamps erbauten 1748 eine katholische Kapelle, sie wurde nach Erbauung der katholischen Kirche als Stallung benutzt und zeigt über dein Eingang das Hasenkamp- und von Erdensche Wappen.

Im Jahre 1764 starb der letzte Hasenkamp. Das Schloß ging in die Hände der von Vaerst über. Von Vaerst kaufte sich von der Lehnsträgerschaft frei und wurde Eigentümer. Um l78O schon erstand Friedrich Wilhelm von B e r s w o r d t – W a l l r a b e (1745 – 1814) Haus Weitmar. Durch seine Heirat mit Philippe von Syberg vereinigte dessen Enkel Friedrich (1804 – 1880) es mit der Wasserburg Kemnade, die jetzt im Besitz der Stadt Bochum ist. Im Jahre 1880 ging Haus Weitmar in den Besitz des Kammerherrn Ludwig von Berswordt-Wallrabe über, Sohn des Majors Wilhelm von Berswordt-Wallrabe in Wetzlar. Im Volksmund hieß er der “Alte Baron” (1844 – 1926). Er war bei den Weitmarern sehr beliebt. Die von Berswordt waren seit dem 13. Jahrhundert führende Kaufleute und Ratsherren in Dortmund, sie führten den Doppelnamen seit dem Jahre 1723 nach Vereinigung des Wallrabeschen Fiedeikommisses. Bis heute hat sich der Name von Berswordt-Wallrabe auf dem Schloß erhalten.

Als am 13. Mai l943 der erste größere feindliche Fliegerangriff über Bochum rollte, wurde auch das altehrwürdige Schloß getroffen. Brandbomben ließen die feurige Lohe hochschießen. Bis auf die Umfassungsmauern wurde das Gebäude zerstört. Unersetzliche kulturelle und materielle Werte wurden ver-nichtet. Eine viele tausend Bände umfassende Bibliothek ist zerstört. Anklagend reckt sich nun das öde Sandsteinkleid des alten Schlosses inmitten des wunderschönen Parks himmelan. Doch das Leben ringsum geht weiter, und es bleibt nur zu wünschen, daß auch das Schloß, das Wahrzeichen einer früheren Herrlichkeit, wieder hergestellt wird.

 

Impressum

1958 Bochum Ein Heimatbuch

 

7. Band

 

Herausgeber

Vereinigung für Heimatkunde e.V.

Druck und Verlag: Schürmann & Klagges