Wandersteine und Wandersage

 

Kleff

 

Ehrlich; wie werden heute vielfach urpersönliches N a t u r g e f ü h l und urgewachsene N a t u r s a g e gewertet? Was alles überspringt die nüchterne Frage nach dem klingenden Nutzen, was alles knüppelte sie nieder im Verhalten gegen die Natur? Ist die Natur da draußen wirklich nur ein gut gemustertes Rohstofflager, aus dem eigentlich nur noch Wissenschaft und Technik etwas zu machen haben? Und doch: „Unter der Decke des Aufklärichts, der verstandesmäßigen Naturerklärung, die sich über das schöpferische Denken und Dichten des ganzen Volkes gelagert hat, schlummert da nicht noch immer unaustilgbar das Empfingen: da in den Elementen, überall in der Natur ist eigentlich Leben, ein uns irgendwie Verwandtes? Und wo das Volk nicht vernünftelt und repetiert, springt da nicht noch zuweilen, bei starken Eindrücken, urplötzlich der alte schöpferische Trieb hervor?“ auch der Trieb, der Naturerscheinungen so gern verpersönlicht und dafür so oft köstliche Sprachwendungen findet? Sagenkeime braucht man durchaus nicht so weitab zu suchen. Die Sagen selbst aber sind nichts anderes als mehr oder weniger deutliche Widerspiele der Menschenseele bei Einwirkungen der Mächte des Lebens und der Natur. Manche Anfänge gehen zweifellos zum Mythus, zur alten Lehre von den Göttern und Götterverwandten, zu ihrem Tun und Treiben, zu ihrer Verehrung. Freilich: man hat zeitweise in solchen Zurückführungen allzuviel versucht. Aber nun nirgendwo mehr noch Altgemanentum sehen oder auch nur vermuten zu wollen, ist nicht richtiger.

 

Die m y t h i s c h e n S a g e n bilden den bedeutendsten Teil der deutschen Sagenwelt. Mit Hugo Meyer, dem Verfasser der deutschen Volkskunde, spricht man gern von drei großen Sagengruppen, die sich um Tod, Alpdruck und Naturerscheinungen reihen. Tatsächlich werden damit ja die stärksten Eindrücke aus dem Leben der Menschen und der Natur auf Sinn und Gemüt und weiterhin auf die schöpferische Phantasie erfaßt. Sonne, Mond und Regenbogen, Wind, Wetter, Wasser und Feuer, Steine, Pflanzen und Tiere, gewisse Orte und Zeiten usw. umspielt die Sage so und wieder anders.

 

Die beiden Hauptsagenkreise der Naturgeister bilden sich um die R i e s e n und die E l b e n, zu welch letzteren man alle kleineren Sagenwesen zählen kann. „Die mächtigen Naturereignisse mußten die Wirkung gewaltiger, ungestümer Riesenkräfte sein, und unsere Vorfahren personifizierten diese Kräfte unter dem Namen Riesen, die in gewissem Gegensatz zu den sanfteren und zarteren Elfen stehen. Schon die Griechen und Römer hatten ihre Riesen, die Giganten, Titanen, Kyklopen; die alten Germanen den Riesen Ymir, den Stammvater der übrigen Riesen. Zuweilen haben sie Tier-, meistens aber plumpe Menschengestalt. Wie früher, so erscheinen sie auch heute noch in den Sagen nach der geistigen Seite hin minderwertig, dumm, tölpelhaft, unbeholfen, auch gierig und zornig. Die Riesen sind in den Sagen meistens steinalt, ihre Taten den Menschen meistens schädigend. Oft stehen sie mit Bergen in Verbindung (Wazmann, Rübezahl usw.). Auf zwei gegenüberliegenden Bergen hausen Riesengenossen, die sich zur Abwechselung mit Felsblöcken bombardieren, aber auch ihre Gerätschaften durch Zuwerfen leihen“, „Steine und Felsen sind des Riesengeschlechtes Waffen; es braucht nur Steinkeulen, Steinschilde, keine Schwerter“. Der ungeschlachten R i e s e n t a t e n werden gar viele erzählt. Dabei fällt ein Hang zum Großgewaltigen und zum Humor auf, ähnlich wie i Märchen. Unter dem Einfluß des Christentums wandelten sich die Riesen nicht selten in Teufel, namentlich bei Kirch- und Brückenbauten. Endlich kann ein Herabsinken zu gewöhnlichen, allerdings übertragend starken Menschen, wie z. B. beim starken Herm, beobachtet werden.

 

Auch bei den Riesensagen gibt es sog. W a n d e r s a g e n. In den verschiedensten Landen wiederholen sich nicht nur einzelne Sagenzüge, sondern auch ganze Sagen. Dabei spielen gewiß nicht nur gleiche Ideen eine Rolle; man muß auch mit Entlehnungen rechnen. Kleine örtliche Färbungen besagen dabei wenig. Eine solche Wandersage ist auch die Sage von dem R i e s e n auf dem T i p p e l s b e r g e in Bochum-Riemke. Firmenich, dessen Sammlung der deutschen Mundarten in Dichtungen, Sagen, Märchen, Volksliedern usw. 1846/48 erschien, erzählt sie folgenderweise:

 

„en stüksken van de twei risengripers op den Tieppelsbiarg un op den Mechtenbiarg.

Git wietet doch alle, dat frööer op den Mechtenbiarg en rise wuonde un enen op de Tieppelsbiarg. De Tieppelsbiarg liet en stünken van Baukem un de Mechtenbiar liet enige smiet wiages van Watsche na Allenessen hen.

 

De beiden risen bokken ümmer tehoupe broud. Einmal moch de eine backen, dann brach de andere sin broud un so gonk et ümmer üm. Nu moch es de kedel op den Mechtenbiarg broud backen, un de vam Tieppelsbiarge moch sine Knisten brengen. Wann nu de rise op den Mechtenbiarg in den truag schrappen, dann war et tid, dat de vam Tieppelsbiarge sin broud brach. Dat schrappen i de truag ludden uwwer so hat, as wann et gedonnert hedde. – As nu de stunne da was, wa de rise achter Baukem denner kommen moch, schrappen sik de op de Leithe faquanz an den rüggenstrank un depper darunner. Dat konn awwer de op den Tieppelsbiarg häören, un he kam ok richtich un brach de broude. Awwer da ha de in de Leithe nach nich de uawen angebot, un de van Baukem kam te fröü. Da wor he so böüse, dat he enen stein nam un den einen risen smeit. Dä leip awwer wech un kam in en paar sprüngen in Ueckentüarp an. Da fol ok de stein terdale, un he liet nach di dat spreitenhüsken. Den grouten stein kent alle lüe, de in de giegend wont, un he het nich andes as de groute kieseling van de kedel op den Tieppelsbiarg“.

 

Die Färbung des „a“ nach „o“, z. B. „na Allenessen“, „awwer“ usw. deutet Firmenich dadurch an, daß er über das a ein o setzt. Wir wissen nicht, wer der Zubringer dieser Fassung für Firmenich gwesen ist; er bringt sie unter „Mundart von Wattenscheid“. Firmenich, der in seinem Werke weit über 300 Mundarten zu verarbeiten hatte und selbst von großen Schwierigkeiten der Wiedergabe spricht, hat offenbar auch hier mehrmals daneben gegriffen, sowohl in einzelnen Wortformen als auch in Wortfärbungen. So übertragt er z. B. faker (=oft) mit faquanz, Kerl mit Kedel; die Andeutung, die er für „ie“ in Tieppelsbiarg, Stein, liet usw. gibt, fehlt bei wietet, Giegend, ein usw. Aber die wenigen Fehler können den großen Wert seiner nun fast 100 Jahre vorliegenden alten Fassung nicht herabmindern.

 

Eine poetische Formung fand die Tippelsberger Riesensage unter dem Titel „Der Hünenstein“ von dem Bergmannsdichter Heinrich Kämpchen in seiner Gedichtsammlung „Was die Ruhr mir sang“.

 

Nach einer anderen Fassung hat der große Kerl vom Tippelsberg mit einem Hünen auf dem S t i m m e l s - b e r g b e i H a l t e r n einen Backtrog gemeinsam gehabt. Von Halterner Hünen wird auch anderwärts berichtet. Einmal ist einer zu einer Bäuerin gekommen, die gerade Brote aus dem Backofen auszog. Der Riese steckte die 20 bis 30 Pfund schweren Brote in den Mund wie Erbsen. Als die Bäuerin jammerte und klagte, meinte der Riese, die Krümelchen seien doch nicht so viel Klagens wert. Auch sonstige Erweise der Größe werden beigebracht. So hat eines Tages eine Hünentochter einen Bauern mit Pflug und Ochsen aufgelesen und in ihrer Schlippe (=Schürze) zum Vater gebracht, genau wie die Riesentochter von Burg Riedeck im Elsaß. Grimm sagt einmal, es falle auf, daß gerade in Westfalen und Hessen so viele Riesensagen daheim seien. Dabei kehrt des öfteren ein Sagenzug wieder: d e r v o n d e m g e m e i n s a m e n B a c k t r o g. Was vom Tippelsberger und Mechtenberger berichtet wird, erzählt man auch von Riesen auf V o l m a r s t e i n und H o h e n s y b u r g, bei Büren usw. Auf dem W i x b e r g e bei Altena wurde eines Nachts der Riese wach, weil sich sein großer Freund auf dem G a x b e r g e bei Sümmern im rauhbastigen Bart kratzte; das war ihm ein Zeichen, eiligst sein Brot zum Backen zu bringen. Der Zug erinnert an die B i e l e f e l d e r Riesen, die auf dem Ravensberg und auf dem Sparenberge wohnten. „Se backeden ümmer tohaupe“. Als sich der Sparenberger einmal zum Schlafen gelegt hatte, war ihm ein Huhn, das von einem Fuchs verfolgt wurde, ins Nasenloch geraten. Das brachte ihn zu einem so fürchterlichen Niesen, daß er selbst davon aufwachte. Er glaubte, der Ravensberger habe im Backtrog gekratzt. Schleunigst machte er sich auf und war mit drei oder vier Schritten auf dem Ravensberg. Und da lag sein großer Freund an der Sonne und schlief. „Er kratzede sik in´n Bort, wo sik just en Tunigel in verlaupen hadde. Dat makede den Riesen van`n Sparenberge ganz verwendt. „Töw, du gruowe Bortschrapper“, rep he, „ik will di betalen“. He namm den Backedrog unner´n Arm un gink er met weg, un os he di de Eggen vörbi kamm, stülpede he den Backedrog, den he nich widder metsliepen woll, buoben up. Do sind alle Bäume unner den Backedrog stikket, un siet de tiet will up´r Eggen keen Baum mehr wassen“.

 

Auch im Münsterlande weiß man von gemeinsam backenden Riesen. Der Höne von Metelen hat mit dem von B o r g h o r s t gebacken, der von N o r d w a l d e mit dem von B i l l e r b e c k, der von der H ü n e n - b u r g bei Wüllen mit dem vom B o c k w i n k e l zwischen Stadtlohn und Breden. Der vom S u n d e r - h o e k bei Epe kratzt sich zur Abwechselung mal hinterm Ohr, was sein Riesennachbar auf der Haar bei Gronau zum Zeichen nimmt, sich schleunigst seinen schweren Trog mit dem Teig auf den Rücken zu schlagen. Allzu große Eile kann auch Riesen unangenehm werden. Der Riese vom M o n r e b e r g am Niederrhein, der einen Backtrog und eine Backofen hatte, ließ den Riesen vom E l t e n b e r g mitbacken. Als einmal das übliche Kratzgeräusch einen der Riesen in Trab brachte, tat er einen großen Schritt über einen See; weil er aber zu kurz trat, bekam er Wasser in den Holzschuh. Aergerlich zog er ihn aus und schüttete das Wasser auf die E r d e. Da entstand er Kalflack bei Calcar. Der S a ß t r o p e r Riese in der Soester Gegend rannte gleichfalls einmal zu eilig. Da entstand der fruchtbarste Boden in der ganzen Soester Börde. Nicht so günstig war das Andenken, das ein Riese im Osnabrücker Lande hinterließ. Da wohnten gemeinsam backende Riesen auf dem H a l d e m e r und dem B e n n e r Berge. Als der Benner Riese einmal auf das gewohnte Zeichen hin recht eilig seinen Teig bringen wollte, mußte er bei Bohmte erst seinen Holzschuh ausprockeln. Da entstand der große Sandhügel, der Heemanshügel genannt wurde. Hier kennt man also ausnahmsweise einmal den Namen eines Riesen.

 

Die Hünen von H e p p e n in der Soester Gegend gaben sich ein Zeichen mit ihren großen Schrappeisen. „Dat Backen dähen se moistendoils tesammen, besonners vüör de gräuten Feste. Un wänn dann bei Huine vom Merhuowe suinen Backuowen glönnig hoit ha, dann gaff hei suinem Noahbar op´m Läuhuowe oin Toiken, bei schlaug die gräuten Schrappuisen anoin, dat et wiu´n Klockentäun ludde; dann wuß dei Huine Beschoid und schliepede suine Siebensaken im Troape noahm Merhuowe.“ Anderswo klang das Zeichen wie Donner. Wenn z. B. A l t g r u l ä n d e r Riesen seinen Teig fertig hatte, rief er seinem Freunde auf der K l u s e b e i D e l l w i g herüber, und das klang, als wenn es donnerte: „Sall ´k ne brengen?“ Dann übersprang er mit ein paar Sätzen das Ruhrtal. Die Riesen auf dem W e i ß e n s t e i n und dem R e m b e r g in Oberhessen hatten einen gemeinsamen Backofen mitten auf dem Felde. Wenn sie backen wollten, warfen sie einander Steine zu, ein Zeichen, daß Holz von des Nachbars Burg kommen sollte. Einmal geschah es, daß beide zu gleicher Zeit warfen; die Steine sausten in der Luft auf einander und fielen bei Michelbach nieder, jeder mit Spuren einer Riesenhand. Die Hünen auf dem Hünenbrink bei Nettelstädt waren mit denen auf dem Stall, eine Stunde weit ab, befreundet. Hatten die einen gebacken und die andern wollten gerne Brot mithaben, so warfen sie es einfach herüber.

 

Gutnachbarlich lebten auch die Pyrmonter Riesen mitsammen. Der eine hauste auf dem Schilde, der andere auf dem Osterberge. Wenn sie am Mittag Brei gekocht hatten, reichten sie sich davon her- oder hinüber und zwar in gewaltig großen Löffeln, so daß die Leute im Grunde immer einen argen Schrecken bekamen. Anderwärts bekundeten die Bergriesen gute Nachbarschaft durch gemeinschaftliches Gerät. Die Riesen auf dem B u r g - k o p f bei O b e r h u n d e m und auf der B i l s b u r g brauchten gemeinsam einen mächtigen Vorhammer; bei Bedarf warfen sie ihn sich über das weite Tal zu, wobei die Berge dröhnten. Die Riesen an der P o r t a warfen sich gelegentlich das gemeinschaftliche Beil zu. Die Riesen auf dem E b e r s t e i n und auf H o m b u r g hatten eine gemeinschaftliche Axt, wollte einer Holz spalten, so rief er dem Nachbar 1 ½ Stunden weit hinüber, worauf der die Axt herwarf. Die Hünen auf dem Lemberge bei S a a l h a u s e n und auf dem Wilzenberge bei G l e i d o r f bekundeten ein freundnachbarliches Verhältnis im Gebrauch gemeinsamer Küchengeräte, zu denen natürlich auch ein Backtrog gehörte. Recht gut müssen auch die Hünen auf dem Brunsberg und auf dem Wiltberg in der Gegend von Höxter zu einander gestanden haben. Wenn sie morgens aufstanden, reichten sie sich einander die Hände zum Gruße herüber. Sie warfen sich auch wohl mächtige Ballkugel im Spiel zu; einmal fiel ein solcher Steinball mitten ins Tal; die Vertiefung, die damals entstand, wurde die Knäuelswiese. Schambach und Müller, die übrigens u. a. auch eine der Tippelsberger Sage durchaus ähnliche von der Bramburg und der Plesse berichten, erzählen gar von d r e i Riesen, die Backgemeinsamkeit halten, so aus der Gegend von Grubenhaben und aus der von Vogelbeck. Hier weiß man ebenfalls von Riesensteinen, die die Hünen nach einem mißverstandenen Kratzgeräusch warfen. In der W a r b u r g e r Gegend wollte man wissen, daß die Riesen vom Desenberg und die vom Quast häufiger mit Steinblöcken warfen. Als die Hünenwächter von der P o r t a sich eines Tages im Streit mit Felsblöcken bewarfen, prallten diese in der Luft zufällig aufeinander; die Brocken liegen noch bei Nammen auf dem Felde. Dagegen schlugen die B i e l e f e l d e r Riesen zur Bekräftigung gewisser Nachbargefühle mit ausgerissenen Eichbäumen aufeinander los.

 

Aus den vielen Sagen zur Deutung absonderlicher Steinblöcke sie noch ein Zug herausgegriffen, der sehr wandlungsreich am Ende auch auf Menschen übertragen wurde. Frau Sage behauptet, jener Hügel, dieser Felsen, der Stein sei von Riesen a u s d e m S c h u h geschüttet, als sie über Land gingen. Das wird z. B. vom Bremmenstein bei I s e r l o h n, von Blöcken im Solling bei U s l a r usw. erzählt. Schließlich weiß man derlei aber gar von einem Sauerländer zu berichten. Ein Sauerländer soll einmal nach Köln gegangen sein. Vor dem Tor angelangt, habe er seinen Reisegefährten gebeten, einen Augenblick zu warten, er wolle im Schuh nachsehen, was ihn die ganze Zeit so gedrückt habe. Der aber meinte, er solle warten, bis sie zur Herberge kämen, und beide wanderte weiter. Auf dem Markt wurde dem Gepeinigten der Druck doch zu stark. Er zog den Schuh aus und warf einen großen Stein heraus, der dort lange als ein Wahrzeichen liegen blieb.

 

Noch sei in der Fülle der außerordentlich zahlreichen Steinsagen mit oft recht kurzweiligen Deutungen auf jene hingewiesen, in denen die E i n f ü h r u n g d e s C h r i s t e n t u m s irgendwie mitspielt. Es ist schon begreiflich, wenn den heidnischen Riesen ein starker Haß gegen das Christentum nachgesagt wird. So ärgerte sich der Riese von H o h e n r o d e nördlich von Bremke über die Kirche von Großwieden an der Weser. Er schleuderte großmächtige Blöcke nach dem Kirchturm, die ihn jedoch nicht erreichten; einer blieb an der Kirchhofsmauer, ein weiterer am Ausgange des Dorfes liegen. Der Hüne vom Hünenkeller bei Wedebach ergriff eines Tages im Ingrimm gegen das neue Gotteshaus in M e d e b a c h einen gewaltigen Felsblock und schleuderte ihn zu Tal, um das Kirchlein zu zertrümmern, traf jedoch nicht. Kurz vor seinem Ziele blieb der mächtige Stein durch Jahrhunderte liegen, bis er 1811 beim Straßenbau vom Marktplatz weg in ein tiefes Loch gewälzt wurde. Anderswo, z. B. an der L e i n e, trugen Riesen gleich ganze Kirchen einfach fort. Im Laufe der Zeit wurden aus Riesen des öftern T e u f e l, die natürlich auch am liebsten jedes Kirchlein zertrümmert hätten. Ab und an gerät es, meist aber nicht . Aehnlich wie der H o r k e n s t e i n sein Ziel nicht erreichte, blieb auch der auffällige Felsblock auf den E x t e r s t e i n e n hängen, als ihn des Teufels Hand gegen das Kirchlein dort schleuderte. Solcher Teufelssteine gibt es ungezählte. An manchen dieser fehlgegangenen Wurfsteine will man noch recht gut Eindrücke von des Teufels Faust erkennen. An wieder anderen Großsteinen glaubt man noch eine Blutrinne zeigen zu können, z. B. am Horkenstein; es fehlt nicht an Ausmalungen blutiger Götteropfer an solchen Opfersteinen. Nur wird schwerlich auszumachen sein, ob dieser oder jener Stein tatsächlich als heidnischer Opferstein gedient hat. Wenn auch die Möglichkeit hier und dort auf Grund gewisser Umstände nicht ohne weiteres abgewiesen werden kann, so ist doch im allgemeinen starke Zurückhaltung besser angebracht.

 

Manche absonderliche Steine deuten schon mit ihrem N a m e n an, daß man versuchte, ihr Geheimnis zu lüften. Ab und zu wird sicher die eigenartige Gestaltung Ansatz zum Sagenmoos geworden sein. Auch die Frage: warum so eine sonderbare Vereinzelung? ist anregend geworden. Man möchte auch fragen: wie kam man auf Riesen, die Steineschleuderten? Durch die Wetterwolken? Durch Nebelschwaden? Die Oberschiffer reden ja noch heute von Nebelriesen. „Wir können die Berge wie die weite Heide nicht denken ohne die Luft über ihnen; ohne die Wolken, Wind und Wetter. Nebel, der aufsteigt, Gewölk, das von Berghaupt zu Berghaupt zieht, lassen auf einen Riesenhaushalt schließen; da wird gekocht, gebacken, gebraut in riesigen Kesseln, Trögen und Oefen; große Spindeln voll Flachs werden abgesponnen und die Gespinste gewaschen in Flüssen und Seen.“ Anhalte zu Sagenanstößen durch schwere Wetterwolken könnte man z. B. in der Sage vom Wilzenberger Riesen finden. Dieser stand bisweilen mit einem Fuße auf dem Wilzenberge, mit einem auf dem Koppen. Neigte er sich dann nieder, um aus der Lenne zu trinken, so verdunkelte sich die Sonne, wie wenn eine schwere Wolke davor herziehe. Trank er, so klang es wie das Rollen eines fernen Donners. Hatte er eine Untat vollbracht, so wich das Wasser von seinen Lippen und rauschte jäh in die Erde. Von einem Wandersteine, der in Querenburg hinter der Zeche „Mansfeld“ liegt und bei dem Ausbau des Weges leider zugedeckt wurde, wird erzählt, daß darunter ein Bauer mit Pflug und Pferden ruhe, der vom Blitze erschlagen ward. Die Wetterwolke tritt in der Sage überhaupt stärker hervor. „Meist ist das Gewitter bei den Völkern personifiziert, bei den Griechen lenkte es Zeus, bei den Römern Jupiter; auch die Germanen haben schon in vorhistorischer Zeit die Vorstellung von einem sich im Donner zu erkennen gebenden persönlichen Wesen gehabt, wenn es ihnen ursprünglich auch fremd gewesen ist und ihnen die Naturerscheinung auch an und für sich schon Furcht und Schrecken eingeflößt hat. Thor oder Donar schleuderte seinen Hammer. In einigen Sagen erscheint die Gewitterwolke selbst personifiziert. Sie ist ein siedender Kessel oder ein Backtrog der Riesen, mit besonderer Betonung des Blitzes auch wohl der Feuerorache, der durch den Schornstein Glück oder Unglück hereinbringt, in andern Sagen endlich der Riese oder die Riesin selber.“

 

Es ist jedoch vergeblich, es verkennt auch völlig das Wesen der Sage, jeden Sagenzug rein verstandesmäßig erfassen zu wollen oder zu können. „Wer da meint, die Sagen unseres Volkes ganz abspinnen, in unsere Verstandessprache übersetzen zu müssen, um zu ihrem Wesenskern zu gelangen, der wird zuletzt nichts mehr darunter finden; ihr Wesen und ihr Leben sind ihm schon durch die Finger geglitten; sie waren in jedem einzelnen Zuge der Sage.“ Die Sage will in vielem wie ein Gedicht angefaßt werden; man kann sie wie dieses förmlich zu Tode erklären. Sie ist nach Wurmbach

 

„fast einem Traume gleich –

zart wie ein Traum, lebendig wie ein Traum –

Ein Bild, wie du´s vom hohen Berge schaust,

zerinnend halb in des Septembers Bläue –

das ferne Dorf im Tal – die Burg, die Stadt.

Nur deine Sehnsicht rät der fernsten Winkel

Geheimnis.“

  

Impressum

1930 Bochum Ein Heimatbuch

 

Herausgegeben im Auftrag der Vereinigung für Heimatkunde von B. Kleff

 

Verlag und Druck

Schürmann & Klagges

3. Band

 

Am 3. Bande dieses Heimatbuches arbeiteten mit:

 

Dipl.-Ingenieur Franz Eiermann, Bochum

Studienrat Dr. Joseph Esser, Bochum

Staatsanwaltschaftsrat Dr. Günter Höfken, Essen

Rektor Bernhard Kleff, Leiter des Städt. Museums, Bochum

Konrektor Emil Tetzlaff, Bochum-Langendreer

Studienrat Erich Thieme, Hannover

Landwirtschaftsrat Dr. Friedrich Walter, Bochum

Direktor der Landwirtschaftlichen Schule

Schulrat August Weiß, Neuwied

Privatsekretärin Wilma Weierhorst, Bochum

 

Copyright by Schürmann & Klagges, Bochum

 

Buchschmuck: Druckereileiter Erich Brockmann, Bochum

 

(Zitierhinweis 2012)

Bernhard Kleff, Hg.: Bochum. Ein Heimatbuch. Bochum 1930. Bochumer Heimatbuch Bd. 3