Conrad Bergmann, der Langendreerer Lehrer und Dichter

 

Karl Brinkmann

 

In Julius Schwerings Abhandlung über die Dichtung der Grafschaft Mark in A. Meisters Festschrift finden wir die Erwähnung: “Einen hellen, preußisch-konservativen Finkenschlag finden wir in den Weisen eines Johann Heinrich Bergmann aus Langendreer, dessen “ächter prüßscher Buhr” 1848 in Tausenden von Flugblättern verbreitet wurde”. Dieses Gedicht muß also im Dienste der Werbung für den Gedanken des preußischen Königtums von Gottes Gnaden gegen gewisse konstitutionelle Bestrebungen und Versuche, die Souveränität der preußischen Majestät zugunsten einer Reichsgewalt einzuschränken, gestanden haben. Die preußische Regierung arbeitete damals mit allen verfügbaren Mitteln der Propaganda. Die westdeutsche Bevölkerung aber erschien ihr besonders anfällig für revolutionäre Gedanken und wurde deshalb auch besonders intensiv bearbeitet Von diesem Gesichtspunkt aus wird die genannte Dichtung ebenso als politisches wie als kulturelles Kuriosium reizvoll, denn wir können Schwerings angeblichen “hellen Finkenschlag” beim besten Willen nur noch als einen recht vergnüglichen Elsternruf gelten lassen.

Näheres über den Dichter erfahren wir bei Max Jäkel , der auch den “ächt prüßschen Buhren” im vollen Wortlaut abdruckt. Eine vollständige Wiedergabe der Dichtung im “Märkischen Sprecher” anläßlich des 75. Geburtstages Bergmanns im März 1883 könnte seine Quelle gewesen sein. Jäkel meint dazu, daß sie uns “heute zwar etwas komisch anmutet aber der Originalität halber wiedergegeben sei”. Vor allem erkennen wir, daß sich Schwering nicht nur in ihrem Charakter, sondern auch im Vornamen des Verfassers geirrt hat Es handelt sich um den Lehrer und Organisten Conrad Bergmann, der am 28. März 1808, als ältester Sohn des Mühlenbesitzers Joh. Heinr. Bergmann, zu Martert geboren ist. Er besuchte das Gymnasium zu Dortmund und bereitete sich auf dem Seminar in Soest auf den Lehrerberuf vor. Nachdem er 1830 das Examen bestanden hatte, war er Hauslehrer in den Familien von Rappard und Pilgrim in Königsborn. 1832 fand er seine Anstellung als Lehrer in Ickern. Am 5. Juli 1845 kam er als zweiter Lehrer nach Langendreer. Erster Lehrer war damals der 50jährige Friedrich Brink-mann. Aus dem Einwohnerverzeichnis von 1846 ersehen wir, daß Bergmann, wohl um die spärlichen Einkünfte seiner Lehrerstelle zu verbessern, in seinem Hause auch Zöglinge hielt Eine Gelegenheit durch eine patriotische Dichtung sich von der preußischen Regierung einen Nebenverdienst zu schaffen, mag dem geplagten Schulmeister immerhin willkommen gewesen sein. Er errang sich in Langendreer eine sehr geachtete Stellung. Jäkel sagt: “Conrad Bergmann erwarb sich auch sonst durch sein leutseliges Wesen die Liebe und Verehrung seiner Mitbürger. Alle Bedrängten holten sich bei ihm Rat, und nie ging ein Bittender unbefriedigt aus seinem Hause. Die Gemeinde ehrte ihn dadurch, daß sie ihn 1873 mit vollem Gehalt pensionierte.” Er ist am 13. Juni 1874 gestorben.

Jäkel und Born berichten, daß Bergmann plattdeutsche patriotische Gedichte verfaßt habe. Trotz gründlicher Bemühungen aber war es nicht möglich, ihm eine solche Dichtung mit Sicherheit zuzuschreiben. In den Zei-tungen jener Tage erscheinen öfters plattdeutsche Gedichte dieser Art, aber sie sind alle anonym. Durch einen Stilvergleich mit dem “ächten prüßschen Buhren”, der 1848 unter vielen patriotischen Gedichten erschien, ergibt sich kein Anhalt für Bergmanns Autorschaft. Keines dieser Gedichte weist den eigenartig treuherzigen, konservativ biedermännische Gesinnung mit politischer Phrase vermengenden und bäuerlich derben Ton des Flugblattes, das “allen wahren Preußen” gewidmet ist auf. Für sein Plattdeutsch hat sich Bergmann eine eigene Orthographie zurechtgelegt, die phonetisch begründet ist also vom Lautbild ausgeht. Die drollig anmutende Schreibung “vieh” für “wir” mag sein Streben nach unbedingter Lautgerechtigkeit kennzeichnen. Hier und da dringen allerdings auch schriftdeutsche Wörter und Formen ein wie “nitt” statt “nich”. Im Großen und Ganzen aber ist das Gedicht ein getreuer Spiegel der damals in Langendreer üblichen Mundart. Nur in der feierlich gemeinten Steigerung des Schlusses, die uns freilich auch erheiternd genug erscheint verfällt er in das Hochdeutsche:

“Weiß Leinwand von der Bleiche,

Schwarzer Sarg hüllt meine Leiche

Im kühlen Schoß der Muttererde ein,

Ich will im Tode noch ein Preuße sein!”

Es würde zu weit führen, heute noch das ganze, zwölf Strophen umfassende Gedicht wiederzugeben. Immerhin aber mögen einzelne Proben eine Vorstellung von den damals in Langendreer herrschenden politischen Span-nungen und Gegensätzen vermitteln, umso mehr, als sie uns erkennen lassen, mit welchen Mitteln die amtliche politische Propaganda jener Zeit arbeitete. Der erste Angriff gilt den Bestrebungen nach der R e i c h s e i n - h e i t. Um die Popularität zu erhöhen, ist auf die Melodie des Preußenliedes gedichtet worden. Allerdings sind öfters erhebliche Textverrenkungen notwendig, um Wort und Melodie einander anzugleichen. Der schlagwortartige, den Gegner derb und so grob wie möglich angreifende Text mag uns auf eine primitive Mentalität berechnet erscheinen, und sicher mußte Bergmann, wenn er seiner Wirkung sicher sein wollte, von einem verhältnismäßig niedrigen Bildungsniveau der Bauern seiner Tage ausgehen. Als Dorfschulmeister wußte er gewiß am besten, was er dem “ächten Buhren” zumuten durfte. Die überlieferten Zeugnisse beweisen, daß er tatsächlich den richtigen Ton getroffen hatte, daß der gewünschte Erfolg sich eingestellt haben muß. Wir sollten dabei auch nicht vergessen, daß die jüngste Vergangenheit uns genügend Beweise dafür geliefert bat, daß politische Lyrik dann am durchschlagendsten wirken kann, wenn sie nur recht knallig und formelhaft ist. Und so beginnt Bergmann:

“Schniwitt, kuohlschwatt, datt hängt mieh

[fast am Hiätten.

Wann eck dat rot-schwatt-golne Dink anseih,

Dann schmaket mieh kein Drinken und

[kein Jätten.

0 Buotterkiehl! Watt birwt dann

[miene Knei. . .”

Und in der zweiten Strophe tut er das, was den Gegner am empfindlichsten zu treffen vermag, er stellt ihn als ungebildet hin:

“Van Kiärkentouern un in allen Stroaten

Sind rot-schwatt-golne Fahnen utgespreit

Dä Kau- und Sugjungs könnt et nitt

[mä loaten,

Dä Kähls und Wiwer sind nitt mä gescheit”

Dann geht es weiter

“Mett Guatt füär Küönning, Vaterland . . .” Die großen Siege der preußischen Könige werden als alleiniges Verdienst der schwarz-weißen Farben hingestellt, und die Macht der Tradition wird beschworen:

“Opp Witt und Schwatt, da sinn eck opp

[gebuahren,

Mien Vahr, mien Bessvahr un mien

[Ankevahr .

Die “Republikers” werden ebenso abgetan – ,un mögt se noch so kollern!” – wie die Aristokraten – “Dän sall ätt ouk nitt baten”. Die Konstitution nach dem Willen “Fritz Wilms” ist das erstrebenswerte Ziel mit dem “Küönning“ an der Spitze “as Buhr un Büörgersmann van ehrsten Stand”. Dann richtet Bergmann den Angriff gegen den Reichsverweser:

“Nu heff eck noch en ganz famos Kapitel,

Datt mieh garut nitt noah de Müsche geiht.

Eck mein den dütschen Rieksverweiserstitel

Gehanns, dä buawen an de Spitze steiht.

Hei ist nu Rieksverweiser

Un wätt am End noch Kaiser.

Kann all nitt wietten, wout noch kommen

[kann,

Vieh arme Lüh sind dubbeldick im Jann”.

Allerdings muß er mit der großen Volkstümlichkeit Johanns rechnen:

“Gehanns sall sien en oallen, brawen

[Jungen,

Gemeiner noch as manker groate Buhr.

In Steiermark wätt hä so stark besungen,

Dam‘t höären kann bie us hier an de Ruhr.

Datt kann mieh all nitt baten,

Paßt nitt bie miene Kahten,

Dä Prüss is Trumpf! Raup eck,

[dä Buhk es fett,

Ett höät nuh opp, eck paß und spiel

[nitt mett”.

Die hier gebrauchten bildhaften Ausdrücke sind von dem damals in unserer Gegend sehr verbreiteten und auch heute noch wohlbekannten Kartenspiel “Schafskopf” genommen. Sie verbanden Anschaulichkeit mit humoristischer Wirkung.

Köstlich ist dann das Bild, das Bergmann vom deutschen Vaterlande kurz und bündig gibt:

“Prüßen es de Kopp vam dütschen Lanne,

Datt Holterland am End es datt Gesäät”.

Und darauf werden wieder glorreiche Siege berufen, Seitenhiebe gegen die anderen “Potentoaten” ausgeteilt, und die ganze, auf die Einigung der Deutschen ausgerichtete Politik mit der bündigen Wendung abgetan:

“Watt heil vieh met dem ganzen Kroam

the daun”.

Der Überblick zeigt uns, daß wir es keineswegs mit einer guten oder auch nur echten, ernst zu nehmenden Dichtung zu tun haben. Es ist kein “heller Finkenschlag”, wohl aber ein außerordentlich geschicktes Propagandainstrument, das kulturgeschichtlich und staatspolitisch umso Interessanter ist, als die Folgezeit einen anderen Weg ging und mit sich brachte, daß uns zwar genügend von der politischen Tendenzdichtung der Gegenseite erhalten blieb, aber die “konservative” Propaganda so gut wie völlig in der Versenkung verschwand. Um ein abschließendes Bild vom “Dichter” Conrad Bergmann zu haben, müßten wir mehr von seinen Gedichten kennen. Aber diese sind offenbar sehr verstreut erschienen, niemals zusammengefaßt worden, jedenfalls läßt sich keine geschlossene Publikation bibliographisch ermitteln, und man wird es dem Zufall überlassen müssen, hier nähere Aufklärung zu bringen.

Am Rande vermerkt sei noch, daß auch Bergmanns Sohn und Nachfolger im Amte, Fritz Bergmann, der in den letzten Lebensjahren Hauptlehrer in Kaltenhardt war, zu hohem Ansehen kam. Allerdings hatte er nicht den Ehr-geiz, dem so oft gerühmten Vater nachzufahren, er begnügte sich mit dem weit über die Grenzen der Heimat hinausreichenden Ruf als Pomologe und Rosenzüchter. Mit behördlicher Unterstützung hat er zahlreiche Versuchsreihen zur Verbesserung der Obstbaumzucht durchgeführt. Als vielseitiger Mann war er auch 33 Jahre lang Dirigent des Männergesangvereins “Urbania”, ferner Organist und alter Krieger von 1866 und 1870. Sein Nachruf am 12. Januar 1902 hebt außerdem ausdrücklich seine hohen Verdienste um die Hebung des Schulwesens in der rasch wachsenden Heimatgemeinde Langendreer hervor.

 

Impressum

1958 Bochum Ein Heimatbuch

 

7. Band

 

Herausgeber

Vereinigung für Heimatkunde e.V.

Druck und Verlag: Schürmann & Klagges