Heimatkundliches aus Grumme

 

Karl Freund

 

Im 12. Jahrhundert wird der heutige Stadtteil Bochum-Grumme urkundlich G r u m h e m genannt. Aus diesem Ortsnamen, der als Heim in der Grume (im Talgrunde) zu deuten ist, entwickelte sich über G r o m m e n die heutige Ortsbezeichnung G r u m m e. Die Namensdeutung weist schon darauf hin, daß die erste Besiedlung in einem von zahlreichen Gewässern durchfurchten welligen Gelände erfolgt sein muß. An der Bodengestaltung ist die Bochumer Mulde beteiligt, die aus der Abflachung des Ardeygebirges von der Altenbochumer Wasserscheide zur Emscherniederung entstand, und die auch das Grummer Gebiet einbezieht.

 

Geologische und topographische Merkmale

 

Zur Eiszeit sind auch hier mächtige Moränen und Geschiebemassen abgesetzt worden. Die Halfsche Kiesgrube an der heutigen Heckertstraße gibt uns ein anschauliches Bild von den großen Kiesablagerungen mit den daraufliegenden hohen Lehm- und Lößschichten. Zahlreiche Gewässer, die von der Wasserscheide aus dem Emscher- und Rheintal zustrebten, durchfurchten den Boden und falteten vielfach das wellige Gelände. Der große Harpener Findling, die Ruhrschotter und die Lößkindel – kleine Kalkpüppchen im Löß – im Zillertal sollen Beweise dafür sein, daß die Ruhr einmal ihren Lauf durch das Tal der Rinbecke oder auch durch das Grummer Tal zum Rhein hin genommen hat.

 

Das beigefügte Lage- und Gestaltungsbild vom alten Grumme zeigt, daß es ein naturschönes Gebiet war. Westlich von Grümershof – heute Benking in Hiltrop – entspringt eine Quelle, deren Wasser zuerst in südlicher und dann in westlicher Richtung im Talgrunde verläuft. Es ist die Grumbecke oder der Grummer Bach, im Volksmund „Küttelbieke“ genannt. Aus drei Einschnitten ergießen sich vom Süden her Gewässer in das Wiesental hinab. Die Grumbecke nimmt, vom Rottmannshof kommend, die Becke (später Rottmannsbach genannt), die Schmale Becke (kleiner Bach) und die Albecke (Bach im Tal, wo die Wiesen gealt wurden) auf. Sie treibt die 400 Jahre alte Grummer Mühle und etwas weiter gemeinsam mit dem Schmechtingsbach (entstanden aus Goldbecke und Ladbecke) die inzwischen stillgelegte seit 1438 genannte Bulxmühle in Hofstede.

 

Die südlichen Erhebungen zwischen den Seitentälern, der Böckenberg (Buchenberg), der Böckenbusch und „aut dem Heckert“ (dorniger, krautiger Acker) sind die Ausläufer des Heidnockens und der Wasserscheidenhöhen. Nach Norden zu begrenzen den Talgrund der Hiltroper Güstenberg (trockener Berg, güste Kau = Kuh, die trocken steht), der nach Süden steil abfallende Kötterberg (Wohnplatz der Kötter) und der Tippelsberg (Diebels = Teufelsberg). Zu letzterem gehört der vorgeschobene Eickeler Kirchenbusch, hinter dem sich der Prattwinkel (zurückgezogener Winkel, wo die Kötter pratteten, sich nicht an andere störten) verkriecht. Dieses kleine Wiesental geht auch in den Haupttalgrund über. Alle Niederungen sind sehr wasserreich. Ein einstmals mit Eschen bestandenes sumpfiges Gelände heißt „Am Eschenbruch“, früher „An der „Kaiseraue“. Das ganze Grummer Gebiet war ehemals mit dichten Wäldern bedeckt. Die Markenwälder bei Hosberg und in der Wanne (Grenzgraben) gaben den Ansiedlern reichlich Schlagholz. Mancherlei gefiederte Sänger und farbenprächtige Vögel wie Blaurake und Pirol belebten die Täler.

 

Die Bauernschaft Grumme

 

Von diesem naturschönen, abgesonderten Gebiet erfahren wir verhältnismäßig spät etwas, obwohl es im Bereich des Hellweges und der Kreuzung zweier alter Heeres- und Handelswege lag. Es muß aber schon von Franken besiedelt worden sein, ehe Urkunden davon sprechen. Ein H a u p t h o f i n d e r G r u m m e am Böckenberg dürfte der Sitz eines Landadelsgeschlechtes gewesen sein. Wie die Heberegister des Klosters Werden nachweisen, besaß dieses schon im 12. Jahrhundert in Grumhem einen Hof, dessen Aufsitzer Hermann an den Werdener Oberhof Krawinkel in Bochem Abgaben entrichten mußte. Nur ein Angehöriger des alten Geschlechts vom Grundhof ist uns mit Namen überliefert worden. Es ist Hugo von Grumhem, der in einer Urkunde des Bochumer Freigrafen Sybert von Aldenboychem bei einer Grundstücksübertragung im Jahre 1321 neben andern Adeligen als Zeuge aufgeführt wird. Der Name bedeutet: Hugo vom Heim (fränk. hem) in der Grume. Sonst wissen wir nichts von diesem Geschlecht. Von Interesse ist noch eine Urkunde vom Jahre 1498, in der die Witwe Clara des Wennemar Paskendal genannt wird, die zugunsten des Spitals in Bochum 1 Maltersaat Landes an dem „Detmarskruie, dar ein wech goir geit nae Grummen“(der heutige Quellenweg durch die Albecke nach Hof Hoen) verkauft. Das steinerne Feldkreuz ist später vor dem Bauernhof Dieckmann an der Castroper Straße aufgestellt worden. Ein altes Kettenbuch des freiweltlichen Damenstiftes Essen (um 1410 angelegt) nennt zwei Höfe in Grumme. Der zum Oberhof Viehhof (in Essen) gehörige H o f d e s P e t e r K n o y s t gab an das Stift Essen jährlich 12 Denare Abgabe, dies ist der D ö r d e l m a n n h o f, der seit den letzten beiden Jahrhunderten nach seinem neuen Besitzer H e 1 f h o f heißt. Dem Oberhof Uckendorf unterstand der Hof Overdyk, der jährlich drei Malter Gerste an die Essener Abtei gab. Ein Pachthof hatte seinen Namen von seiner Lage an einem alten Teich und sein Besitzer hieß deshalb D i e c km a n n. Der Hof gehörte seit dem 16. Jahrhundert der Familie von Loe auf Haus Overdiek in Hamme, die ihn an den aufsitzenden Bauern in Erbpacht gegeben hatte. (Urk. von 1594 bei Symann, Urkunden des Archivs Wanne-Eickel Nr. 122.) Als der Hof abbrannte, wurde er an der Castroper Straße neu aufgebaut.

 

Der größte Hof der Bauernschaft Grumme ist der R e h 1i n g h a u s h a u s h o f , der 1684 mit 38 Maltersaat vermessen wurde. Er war doppelt so groß wie jeder der anderen zehn Höfe. 1372 hieß er Redelinghusen (Darpe, Urk. Buch Nr. 12). Dieser Hof war wahrscheinlich ein altes Freigut, das in den Fehdezeiten des 14. Jahrhunderts seine Selbständigkeit verloren hatte und an den Adel übergegangen war, so daß der Bauer nur Erbpächter war. Seit dem 15. Jahrhundert gehörte er den von Aschebrock auf Nosthausen, im 17. Jahrhundert den von Loe auf Overdiek (Symann Nr. 76). Eine Seelenheilstiftung von jährlich drei Malter Korn wird 1446 aus dem Hof an die Bochumer Kirche gegeben (Darpe Nr. 74). Die alte Freibauerneigenschaft des Hofbesitzers Rehlinghaus kam aber noch im 16. Jahrhundert dadurch zum Ausdruck, daß die Gebrüder Wilhelm und Johann Rehlinghaus in einer Urkunde vom 20. Februar 1559 sich stolz „Freileute unseres gnädigen Landesherrn“nannten (Darpe Nr. 211). Ihr Vater, Johann Rehlingthaus,war als Kirchenrat tatkräftig beim Aufbau der 1517 zerstörten Bochumer Kirche beteiligt. Er gab größere Darlehen, auf deren Rückzahlung seine beiden eben genannten Kinder 1559 verzichteten.

 

Das alte märkische Schatzbuch von 1486 führt die Grummer Höfe an, die zur Landessteuer aufgeboten wurden: Rehlinghusen, Busman, Hoen, Vierhuis, Jan to Grummen, Thienthoff, Kleesberg, Dorleman, Rütger op der Drewe, Henrik op der Drewe und die Kötter Haeselhoff, Schroider, in dem Hulse. Nicht genannt ist der Diekmannhof, weil dieser als Essener Hof vom Stift Essen aus besteuert wurde. Unter dem Hof Jan to Grummen ist wohl der Hof Blomberg gemeint.

 

Nach Unterlagen von Dr. Höfken lagen der B u s c h m a n n s h o f und der Vierhaushof in Vierhausen, einer Lagebezeichnung des 15. Jahrhunderts, die dem letztgenannten Hof auch seinen Namen gab. „Dat goed tho Veyrhusen, geheyten in dem Busch“ gehörte im 14. Jahrhundert den von Brüggeney in Stiepel. Es wurde in dieser Adelsfamilie in zwei Linien vererbt und am 17. Oktober 1439 an den Pastor von Eickel, Everd von der Brüggeney, verkauft, mit Vorbehalt des Wiederkaufrechtes. Im Jahre 1488 wurde es von dem Drosten Wennemar Brüggeney genannt Hasenkamp zurückgekauft und blieb seit dieser Zeit bei der Familie von Hasenkamp auf Haus Weitmar (Darpe Nr. 53, 55, 61, 97). Als aufsitzender Bauer wird 1541 Seger Buysman genannt (Darpe Nr. 181). 1664 wird als Obereigentümer der adelige von Schell zu Ripshorst angeführt

 

Der V i e r h a u s h o f war im 16. Jahrhundert Eigentum der Familie von Aldenbockum zur Wiesche und wurde 1562 von Johann von Aldenbockum an Melchior von Loe auf Haus Dorneburg in Eickel verkauft (Symann, Wanner Urk. Buch Nr. 78). Als Eigenleute wird Frau Ide mit ihren Kindern genannt. 1664 gehörte der Hof der Familie von Palandt.

 

Die beiden Höfe op der Drewe, worunter wohl die uralte Trift zu verstehen ist, auf die die Grummer Bauern ihr Vieh trieben,wechselten ihren Namen nach dem jeweiligen Rufnamen ihrer Besitzer. Erst im 16. Jahrhundert kommt für den einen Hof die Bezeichnung Niederdrewen (1598, Darpe Nr. 275) für den anderen die Overdrever (1599, Darpe S. 216) auf, 1684 finden wir dann die bleibenden Namen N i e d e r d r e v e r m a n n und O b e r d r e v e r m a n n. Damals gehörten die Höfe zum Haus Grimberg (Oberdrevermann) bzw. Haus Gosewinkel bei Eickel.

 

Der H o f K 1 e b e r g war 1664 im Eigentum des Herrn von Bodelschwingh, der H o f B 1o m b e r g dem Bochumer Bürger und Wirt Wilhelm Iden zugehörig. Der H o f H ö b n e gehörte 1664 der Witwe Esselen in Bochum.

 

Auf allen Höfen lastete der alte K i r c h e n z e h n t e, der schon früh in die Hände des Adels kam. 1365 gehörte er der Familie von Fürstenberg (Westf. Zeitschrift Bd. 91 S. 352), später den auf Haus Grimberg seßhaften Adelsfamilien von Sobbe und von Knipping, die ihn von 1556 an Robert Stael von Holstein auf Haus Steinhausen bei Bommern abtraten (Darpe Nr. 205, 240). Diese Adeligen gaben den Zehnten an Bochumer Bürger in Pacht. Im 15. Jahrhundert war Pächter die sehr begüterte Familie op der Borg. 1556 entstanden Streitigkeiten zwischen den Erben der op der Borg, dem Bochumer Amtsrichter Dierich Delscher und dem Heinrich Ovelgünne über die Anteilsrechte an dem Zehnten. Der Prozeß beschäftigte schließlich das Reichskammergericht. Aus den noch vorhandenen Schriftsätzen (St. Archiv Münster, Reichskammer-gerichtsakten D 189 – 558) erfahren wir, daß der Zehnte 1564, erbrachte: 29 Malter Roggen, 23 Malter Gerste, 2 Malter Weizen, 11 Malter Hafer, 5 Scheffel Wicken, 5 Scheffel Rübsamen, 5 Boten Flachs (1 Boten = 2 ½ Pfund). Dazu kamen noch die Abgaben an Schweinen, Lämmern und Hühnern. Später, im 17. Jahrhundert gehörte der Zehnte der Bochumer Familie Hugenpoth, dann durch Erbschaft dem Hoffiskal und Advokaten Moritz Konrad Vathacke (1713 – 1780), der im Hause Bongardstraße 9 in Bochum wohnte. Der Zehnte wurde von Zehnthof eingezogen. Dieser H o f T e n t h o f war immer im Besitz der Adelsfamilien; die den Zehnten besaßen, und an den aufsitzenden Bauern in Erbpacht gaben.

 

Der Bauer hatte nur das Untereigentum am Hof. Wirkliche Hofeseigentümer wurden die meisten Bauern erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch Abfindung der an den Adel zu leistenden Abgaben. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung und der dadurch veranlaßten Bebauung an neu angelegten Straßen, kam der landwirtschaftliche Betrieb auf einigen Höfen zum Erliegen. Er wird heute in beschränktem Umfang noch auf den Höfen Buschmann (im Eigentum der Stadt Bochum), Helf, Höhne (der auch den alten Blomberghof besaß), Rehlinghaus (Rottmann), Oberdrevermann (im Eigentum der Zeche Constantin), Niederdrevermann und Dieckmann betrieben.

 

In diese noch geschlossene Bauernschaft fügten sich mehrere Kotten ein, vor allem im Prattwinkel, am und auf dem Kötterberg, am Böckenberg und im Deinsloh, wo die Dienstleute (Deinstlui) vom Hofe Dördelmann und Kleberg wohnten. An die kirchliche Zugehörigkeit zu Eickel erinnern noch der Eickelsweg zwischen Heckert- und Liboriusstraße und der Kirchenbusch mit dem Aufsitzer Lueg. Alte Ziegeleien waren die von Vierhaus und Rottmann. Mittelalterlich ist auch die Grummer Mühle. Feldsteine (sogenannte Fredesteine) bezeichneten die Grenze des Weichbildes von Bochum, außerhalb dieser Steine galt das alte Landrecht.

 

Die Grummer Vöde

 

Neben andern Besitzern waren die Grummer Bauern Grundeigentümer der großen Vöde an der Castroper Straße, der kleinen Vöde am Stadtpark und im Schmechtinggelände. Die Bochumer Viehhalter hatten daran ein altes Nutzungsrecht. Diese Gerechtsame war nach der Urkunde aus dem Jahre 1321 vom Grafen von der Mark bestätigt worden. Jeder Hausbesitzer von Bochum hatte das Recht, beliebig viel Stück Vieh auf die Hude zu treiben. Im Wechsel von sechs zu sechs Jahren wurde die kleine Vöde einmal als Ackerland und dann als Viehweide, und umgekehrt die große Vöde in Benutzung genommen. Das empfanden die Besitzer als eine schwere Belastung. Ein Teilungsedikt vom 18. Juni 1765 sollte Abhilfe schaffen. Doch der zähe Wille der Bochumer setzte durch Proteste aller Art und durch zahlreiche Bittschriften an den König die Bewahrung des Huderechts durch. Nun folgten viele Verhandlungen und Prozesse, bis der Magistrat als Vertreter der gesamten Bürgerschaft gegen deren Willen dem Teilungsplan zustimmte. Eine Vöderevolution brach aus. Die Klage der Hausbesitzer gegen den Magistrat wurde jedoch 1847 vom Oberlandgericht Hamm verworfen. Das Jahr 1848 brachte das Ende der Vöderevolution. Die bäuerlichen Grundbesitzer kamen zu ihrem Recht. Die auf die Bürger- schaft entfallenden Anteile gelangten in städtischen Besitz. Auf einem Teile dieses Geländes wurde 1876/1878 der alte Stadtpark angelegt. Der letzte Bochumer Kuhhirt war Kortebusch aus Grumme, dessen Standbild bis zum Ausbruch des letzten Weltkrieges den Alten Markt zierte.

 

Entwicklung zur Landgemeinde

 

Der fette Ackerboden, die gut zu bewässernden Wiesen und die Landverkäufe zu Bauzwecken brachten den Bauern reichen Gewinn. Der aufstrebende Bergbau mit den umliegenden Zechen zog Bergarbeiter aus Hessen, aus Polen und Masuren, auch aus Sachsen herbei, die in neuen Mietwohnungen, zum Teil auch in späteren Eigenheimen, Wohnung fanden. Besonders früh entwickelte sich der südöstliche Teil an der Castroper Straße mit der Kolonie „Prinz von Preußen“. Diese Grumme-Vöde war ohne Straßenverbindung mit dem Dorf, und die „Vöder“ haben sich nie recht als „Grummer“, vielmehr als Städter gefühlt. Tiefe Hohlwege und Pferdekarrenwege mit Dornheckenbegrenzung dienten bis zur Jahrhundertwende der einzigen Verbindung mit der Stadt und den westlichen Nachbargemeinden. Doch wurde der idyllisch gelegene Ort oft von Ausflüglern, besonders von Schulklassen, besucht, da es bei Musebrink und bei Düppe in der Wanne leckeren Kuchen und gute Milch gab.

 

Die Einwohnerzahl stieg nur langsam. 1519 zählte man 78 Personen, die das Sakrament des hl. Altars empfingen. 1798 waren es 139 Personen in 23 Häusern mit zwei Mühlen. 1810 hatte Grumme schon ein Spritzenhaus. 1818 zählte man 239 Seelen, darunter 21 Evangelische. 1880 wurde die katholische Schule, und 1890 die katholische Liboriuskirche im Dorf erbaut. Bis 1896 besuchten die evangelischen Kinder die Schule in Bochum für ein Schulgeld von 4 Mark. Dann übernahm die politische Gemeinde die Schulen auf den Gemeindeetat, legte eine evangelische Schulklasse in die katholische Schule neben der Kirche und baute an der Rottmannstraße eine zweiklassige evangelische, an der Castroper Straße eine katholische Schule. Politisch wurde Grumme im Mittelalter von dem Hauptort Bochum der Grafschaft Mark mitverwaltet. Bei der Bildung der Provinz Westfalen 1816 verblieb es beim alten Kreis Bochum. Seit 1881 gehörte die Gemeinde Grumme zum Amt Bochum-Nord unter den Amtmännern Schirmer und Höltje. 1900 wurde es mit dem Amt Harpen vereinigt. Die Amtsräume befanden sich zuerst beim Wirt Hegenberg, dann im Wasserwerk. Unter der Führung von Landrat Gerstein und dem Amtmann von Köckritz blühte die Gemeinde auf. Die letzten Gemeindevorsteher waren Höhne, Köddewig und Vierhaus. Grumme zählte 1900 = 3363 Seelen, davon zwei Drittel katholischer und ein Drittel evangelischer Konfession.

 

Um die Jahrhundertwende stand die Eingemeindung nach Bochum vor der Tür. Was in kommunaler Hinsicht vernachlässigt worden war, wurde nun nachgeholt. Grundstücke wurden für Bauzwecke aufgeschlossen. Es wurden die Josephinen-, Rottmann-, Liborius-, Heckert-, Vierhaus- und Bergstraße gebaut und mit Kanalisation und mit Wasserleitungsanschlüssen versehen. Nun konnte man trockenen Fußes auch über Bürgersteige gehen. Gutsbesitzer Helf schuf 1901 in seinem Wiesengrund an der Josephinenstraße (nach seiner Frau benannt) ein großzügig angelegtes Gartenrestaurant mit Aussichtsturm, mit großem Saal und Gondelteich, die heutige Kaiseraue. 1901 entstand auch die zweiklassige evangelische Schule an der Liboriusstraße (1909/1910 zur achtklassigen umgebaut) und an der Castroper Straße das Verbandswasserwerk der Landgemeinden.

 

Einen Zustrom fremder Arbeiter brachte die neue Schachtanlage der Gewerkschaft Constantin auf dem Kötterberg an der neuen Hiltroper Straße. Am 1. 9. 1903 fuhren die ersten Bergleute auf dem Schacht VI an, der Schacht VII folgte 1906. Eine Zechenbahn nach Schacht VIII und IX in Riemke und nach Schacht X in Hiltrop durchkreuzte nun die Felder. Die Errichtung und der moderne Ausbau dieser Schachtanlage geschah zum größten Teil unter der Leitung des späteren Generaldirektors Wilhelm Droste. Er kam aus Sölde bei Dortmund, das so manchen tüchtigen Grubenbeamten in das Revier geschickt hat. Ich denke da auch an eine dortige strebsame Familie, aus der neben zwei Kaufleuten noch fünf Brüder als tüchtige, im Bezirk tätige Grubenbeamte hervorgingen. Zu denken ist weiter an den Generaldirektor Gehres, aus Wellinghofen stammend, der sich wie Droste vom Bergmann hinaufarbeitete. Er ruht mit Familie auf dem Grummer Friedhof. Sein letzter Wohnsitz, der stattliche Carolinenhof (nach seiner Frau benannt) an der Gudrunstraße, erinnert an ihn.

 

Die neue Tippelsberger Straße, jetzt Tenthoffstraße, brachte die Verbindung mit der Zeche und mit Hiltrop. Neue Arbeiterwohnungen entstanden an der Josephinen-, Liborius- und Rottmannstraße. 1903 kaufte die Stadt Bochum vom Gutsbesitzer Höhne 40 Morgen Weideland an der Bergstraße für die Erweiterung des Stadtparks, mit Wärterhaus und großem Gondelteich. Westlich vom Park entstand durch die von Gutsbesitzer Helf gegrün-dete Terraingesellschaft ein schmuckes Wohnviertel mit 98 Wohnhäusern, zu denen später die Erbhofanlage hinzukam mit den Bauten an der Herder-, Lessing-, Wieland-, Agnes-, Margareten-, Martha- und Vierhaus-straße. Auf dem Heckertacker entstand der jetzt noch vom Friedhofsgärtner Stier gepflegte Gemeindefriedhof.

 

Streiflichter aus dem Volksleben

 

In der Vöde waren die Wirtschaften Hegenberg und Zimmermann weit bekannt. Infolge der schnellen Zunahme der Bevölkerung gesellten sich zu den wenigen „Kniepwinkeln“ bald mehrere Geschäfte. Die Wirtschaften fanden reichen Zuspruch. In der Schmiedewirtschaft Halstrik bei der alten Mühle fanden sich die alten Grummer Meister, auch Landwirte, zum 5-Pf-Schnaps zusammen. Mancher Schabernack, besonders durch ein „Dorf-unikum“, wurde dort ausgeheckt. Beim Wirt Goeke war besonders nach dem Hochamt Betrieb, und beim Wirt Schmitz wurde nach der Beerdigung oft recht lange der Leichenschmaus gehalten. Bei Goeke allein tagten und feierten zwölf Vereine. Im Dorf gab es außer den kirchlichen Vereinigungen einen Krieger-, Schützen- und Turnverein, einen Arbeiter- und Bürgerverein, einen Theater-, Junggesellen- und Altjunggesellenverein, einen Hessen- und Polenverein, Gesangverein, Tierzuchtvereine, Kegelklubs, eine Gesellschaft Harmonie in der Kaiseraue und Stammtische. Umzüge mit Beflaggungen und Bekränzungen bei den Feiern der Vereine belebten das Straßenbild. Sommerfeste in der Grume und im Zillertal brachten alt und jung auf die Beine. In der Kaiseraue krachte es oft bei „italienischen Nächten“.

 

Die Sucht der Einheimischen, sich vor den Fremden fein städtisch zu benehmen,stieß bald manches Althergebrachte zurück. Man hörte auf den Straßen viel polnisch sprechen, und neben den hochdeutschen Lauten zuweilen noch das gute alte Platt, doch schon vermanscht. Um die schönen alten Bräuche war es nun geschehen. Nur einige Bauern hingen noch den Erntekranz an den mit Inschriften und Schnitzwerk versehenen Delenbalken. Auch der Hakelmaibrauch beim Einfahren des letzten geharkten Gehäcksels oder des Flachses schwand dahin. Vereinzelt hatten sich noch alte Hochzeitsbräuche erhalten. Da mußte das junge Paar im Abenddunkel im Garten graben und backen, um den Beweis seiner Tüchtigkeit zu erbringen. Beim Ablegen des Schleiers um Mitternacht wurde der „Jungfernkranz gewunden“. Wenn dann die junge Frau „unter die Haube“ gekommen war, mußte sie durch eine von ihr gekochte „Wassersuppe“, die von allen aus dem Topf gekostet und begutachtet wurde, den Beweis ihrer Kochkunst erbringen. Alles das und noch vieles mehr wurde nun als „gewöhnlich“ angesehen. Auch das gemeinschaftliche nachbarliche Bohnenschnippeln und Stielmusstrippen unter Lied und Scherz fand nicht mehr statt. Die „geldliche Nachbarhilfe“ mit Buchführung bei Beerdigungen und Familienfeiern, wie sie in Stiepel jetzt noch getätigt wird, habe ich hier nur einmal erlebt. Bei den herrschenden Fastnachtsbräuchen wurde zuletzt 1901 noch eine Strohpuppe im Grummer Bach begraben.

 

Grumme wird Bochumer Stadtteil

 

Am 1. 4. 1904 wurde Grumme, das damals 3400 Einwohner zählte, mit Wiemelhausen, Hamme und Hofstede in den Stadtbezirk Bochum eingemeindet. Der letzte Gemeindevorsteher, Vierhaus, wurde Magistratsmitglied der neuen Großstadt mit 107 000 Einwohnern. Grumme erhält einen besonderen Eingang in den damals noch umzäunten neuen Stadtpark. Hausschlachtungen durften noch fünf Jahre weiter ausgeführt werden. Eine besondere Posthilfsstelle war beim Wirt Zimmermann an der Castroper Straße. Den neuen 18. Armenbezirk leitete Bezirksvorsteher Cott, dann als 24. Fürsorgebezirk Bezirksvorsteher Hernscher, dann Freund bis 1946. An der katholischen Liboriuskirche wirkte lange Jahre mit seinem getreuen Küster Weber der Pfarrer Fiene; jetzt amtiert hier der älteste Priester Bochums, Pfarrer Dobbelstein. Für die Evangelischen errichtete die Kirchengemeinde der Altstadt den 7. Pfarrbezirk, den Pfarrer Schmidt II 40 Jahre verwaltete (Lutherkirche). Da sich die Schülerzahl in den letzten Jahren vervierfacht hatte, mußten an allen Schulen Erweiterungsbauten ausgeführt werden.

 

Die weitere Entwicklung des Stadtteils Grumme läßt sich stichwortartig wie folgt beschreiben:

 

1906/07: Inbetriebnahme des Constantin-Schachtes VII, Fertigstellung des neuen Stadtparkteiles. 1908: erhielt Grumme Anschluß an die Straßenbahn Bochum – Gerthe – Harpen. 1909/10: Umbau der katholischen Schule an der Josephinenstraße mit acht Klassenräumen und 10 Klassen: Rektor Hernscher, dann Struwe,Evangelische Schule an der Liboriusstraße, mit acht Klassenräumen: Rektor Freund (seit 1899 hier), die Lutherkirche und die Kreuzkirche werden gebaut, Bismarkturm (33 m) im Stadtpark wird errichtet. 1911: wird die evangelische Schule an der Rottmannstraße mit der an der Castroper Straße vereinigt. 1911/12: wird das Josephshospital auf dem von der Wwe. Höhne geschenkten großen Grundstück am neuen Stadtpark errichtet. 1912: wird die Straßenbahn Bochum – Kaiseraue – Hiltroper Straße – Constantin gebaut, ferner Bebauung an der Heckert-straße und des Kaiseraueviertels (Am Eschenbruch). 1915: wird ein Jugendheim mit Kindergarten an der Liboriusstraße erbaut. 1919/20: Anlage der Kolonie Rottmannshof, im Volksmund Negerdorf, an der Josephinenstraße und Böckenbergstraße, Lenne-, Volme-, Lippe- und jetzt Diemelstraße. 1921: Bau von Wohnhäusern an der Heckert-, Overhoff- und Klinikstraße. 1924: wird der Ruhrschnellweg mit Gersteinring und Dortmunder Straße gebaut. 1926: an der Albecke im Grummer Grüntal werden Parkanlagen und das Kinderplanschbecken hergerichtet. Die Lothringer Zechenbahn wird durch die Grume gebaut. Die Eisen- und Hüttenwerke lassen an der Dortmunder Straße und I. Parallelstraße eine Häusergruppe für 150 Familien bauen. 1929: Neubauten an der Dortmunder Straße, am Wachtel-, Lerchen-, Meisen-, Amsel- und Drosselweg. 1932: hat die Katholische Schule an der Josephinenstraße 15 Klassen, die Evangelische Schule an der Liboriusstraße 9 Klassen. 1933: Anlage des Tierparks durch den Verein der Tierparkfreunde. 1936: fallen die Umzäunungen des Stadtparks, Feier des 40jährigen Bestehens der Evangelischen Schule an der Liboriusstraße und Volksfest in der Kaiseraue. 1939: Auflösung der konfessionellen Schulen und Einrichtung der Gemeinschaftsschule: Grummer Schule: Knaben 8 Klassen, Rektor Struwe, Beethovenschule: Mädchen 8 Klassen, Rektor Freund, Luftschutzsirenen auf den Grummer Schulen. 1940: Ungewöhnliche Kältewelle mit tiefem Schnee, Bau von Luftschutzräumen und Bunkern, Stollen am Kötterberg, Bombenabwürfe in Grumme, Kinderverschickung. 1942: Bau des großen Luftschutzbunkers am Josephshospital 1943: 13. Juni, in der Pfingstnacht, Großangriff, besonders auf Grumme, Josephinen- und Liboriusstraße ein Trümmerfeld, Katholische Schule durch Volltreffer vollends eingeebnet, Evangelische Schule an der Liboriusstraße durch Volltreffer auf das anstehende Jugendheim arg zerstört. Verschickung sämtlicher Kinder der Schulen, zum Teil mit Müttern und Geschwistern, nach Treptow in Pommern. 1944: bei einem letzten Bomben-Großangriff mit 1500 Flugzeugen am 4./5. November wurde auch das Stadtparkviertel in Trümmer gelegt. Verschont blieben das Josephshospital, das Kaiseraueviertel und die Zechenanlagen. 1945: Besetzung der Stadt durch Amerikaner am 8. Mai, der Nordgiebel des Helfschen Bauernhauses wurde durch eine Granate zerstört; die Kirchturmspitze und einige Häuser erhielten leichte Treffer. Wohnungen am Drosselweg,an der Gudrun- und Overhoffstraße wurden von der Besatzungsmacht belegt. 1946: Beginn der Aufbauarbeit auch in Grumme.

 

So ist das unendlich ereignisreiche Halbjahrhundert dahingegangen. Grumme hat, wenn man von der Vöde, den Randbezirken und vom Ruhrschnellweg absieht, seinen ihm eigentümlichen Dorfcharakter immer noch bewahrt. Es ist trotz des Einbruches der Industrie ein landschaftlich schöner Stadtteil von Groß-Bochum geblieben.

 

Impressum

Jahrbuch der Vereinigung für Heimatkunde Bochum

 

1951

 

Herausgegeben

Im Selbstverlag der Vereinigung für Heimatkunde Bochum

 

Gesamtgestaltung Presseamtsleiter Albert Lassek – Umschlagentwurf Thea Reuter, Bochum

Druck Laupenmühlen und Dierichs, Bochum, Anzeigerhaus

 

(Zitierhinweis 2012: Albert Lassek, Bearb.: Jahrbuch der Vereinigung für Heimatkunde Bochum 1951. Bochum 1951. Bochumer Heimatbuch Bd. 5)