Der romanische Taufstein in der Propsteikirche zu Bochum.

 

D r. L. Reinold

 

Am St. Martinstage des Jahres 1517 war die Pfarrkirche Bochums ein Raub der Flammen geworden. Das ganze Jahrhundert stand im Zeichen des mühseligen und kostspieligen Wiederaufbaues der Kirche, der nach und nach das Vermögen der Kirche an Liegenschaften verschlang. Von dem romanischen Bau, der dem jetzigen voranging, der aber gewiß im 14. und 15. Jahrhundert starke gotische Veränderungen erfuhr, ist fast nichts erhalten geblieben. Das im Uebergangsstil aufgeführte Chor wurde im Jahre 1873abgebrochen. Die noch bei Lübke, „Mittelalterliche Kunst in Westfalen“, erwähnten romanischen Skulpturreste sind verschwunden. Aus der Blüte der romanischen Zeit hat sich in der Pfarrkirche Bochums außer dem Taufstein und einem mehrmals aufgearbeiteten Schrein nichts erhalten.

 

Den T a u f s t e i n einzugliedern in seine Zeit und ihn zu würdigen nach seiner kunsthistorischen und gedanklichen Bedeutung, soll die Aufgabe dieser Zeilen sein.

 

Der Wichtigkeit der T a u f e entsprechend hat die frühchristliche Kirche und Kunst auch dem Kultort der Taufe eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sowohl unter den byzantinischen wie unter den römischen Baudenkmälern des 1. Jahrtausends nehmen die B a p t i s t e r i e n oder Taufkirchen eine hervorragende Stellung ein. In Italien haben sich eine ganze Reihe dieser Taufkirchen erhalten, so die am Lateran, am Dome zu Florenz und in Ravenna, Bauten, die für die Geschichte der christlichen Architektur, Ikonographie (= Bilderbeschreibung) und Kleinplastik von größter Wichtigkeit sind. Im Innern dieser Baptisterien befand sich ein Brunnen, zu dem der Täufling hinabstieg. Auch in Deutschland erhielten sich in einigen Bischofskirchen die Baptisterien bis in 13. Jahrhundert. Der Marienkirche in Trier ging ein zum Dom gehörendes Baptisterium voraus; ein Baptisterium hatten Bamberg, Würzburg und andere Städte.

 

Der T a u f s t e i n löst aber um das Jahr 1000 überall die Baptisterien ab. In Deutschland sind wir zur Kenntnis der ersten Formen auf die Darstellungen in den Kleinbildern angewiesen, welche regelmäßig den Taufstein als große, schmucklose Kufe darstellen. Die Form des Taufbrunnens, die z. B. das berühmte Wessobrunner Gebet enthält, ist bezeichnend für die schlichte Art des Taufsteines im 8. und 9. Jahrhundert. Der Taufstein in St. Martin in Köln, den, wie die Legende sagt, Leo III. nach Köln geschickt haben soll, wird wohl nur eine Umarbeitung einer römischen Schale sein und somit aus der Ahnenreihe der romanischen Taufsteine ausscheiden.

 

Die Sonderstellung, die Westfalen, das Geburtsland der Hallenkirchen, in der Kunst des frühen Mittelalters einnimmt, zeigt sich auch in der Plastik und da wieder in den Taufsteinen. In der romanischen Zeit lassen sich deutlich vier Formen unterscheiden und in ihnen eine Wandlung des Stiles.

 

 

Die älteste Form erkennen wir in dem Taufstein zu Rhynern. Er hat eine unverjüngste zylinderische Gestalt ohne Säulchen und Reliefdarstellungen. Bald versucht aber auch eine plastisch noch mühsam ringende Hand, die glatte Kufe in drei Zonen zu teilen und durch Bildwerke und Säulchen zu beleben. Zu dieser Familie gehören u. a. die Taufsteine in Waltrop, Diestedde, Ostönnen, Lüdinghausen und Schwerte.

 

Der gewaltige Aufschwung, den die Heimat der Ottonen um das Jahr 1000 erlebte, die Nachwirkungen Bernwards von Hildesheim schlagen bald ihre Wellen auch herüber nach Westfalen. In Hildesheim empfing die jugendliche deutsche Kunst eine Belebung in der Berührung, die durch Bernward und die Ottonen mit der byzantinischen Kunst in Italien (Ravenna) sich vollzogen hatte. Einen leisen Hauch verspürt man auch in der Kleinplastik der Taufsteine des 11. und 12. Jahrhunderts. Ich nehme nur ein charakteristisches Zeichen heraus, es ist das Löwenornament, das an sich den germanischen Tiersinnbildern fernlag, nun aber in reichem Maße zur Anwendung kommt. Dieses betont auch Dehio in seiner Geschichte der deutschen Kunst, wenn er sagt: „Begreiflicherweise hat die auf antike Form und christlichen Inhalt gerichtete Kunst der Kirche das Tierornament ausgeschlossen; sehr wohl möglich wäre aber ein Fortleben in der volkstümlich gewerblichen Kunst, nur eben daß aus dieser nichts auf uns gekommen ist. Hin und wieder finden wir selbst im kirchlichen Leben eine Andeutung darauf, wie beispielsweise in den Leuchtern des hl. Bernward. Auf sassanidischen und byzantinischen Gewebemustern, die im Zeitalter der Kreuzzüge zunehmend reichlich ins Abendland kamen, spielt das Tierornament eine beträchtliche Rolle, und manches in der romanischen Bauverzierung, wie z. B. das Löwenornament in den Bogenfeldern, ist unmittelbar von hier entlehnt“.

 

Einer der bemerkenswertesten Vertreter dieser Gattung ist der Taufstein in Freckenhorst. Dehio nennt ihn „eine Goldschmiedearbeit in Stein. Obgleich der Grund tief ausgebrochen ist, fehlt doch dem Körper jede wahre Tiefenvorstellung. Der Grundsatz der reichen und geschickten Komposition ist ein rein schmückender, und zwar aus der Spätantike ererbter: helle und dunkle Flecken in symmetrischer Verteilung nebeneinander gestellt.“ Er ist datiert auf 1129. In drei Zonen baut er sich auf, fußend auf einem Sockel, der an eine attische Basis erinnert. Den unteren Teil des Zylinders bilden die byzantinischen Löwenfiguren, darüber zieht sich ein Inschriftenband, das den von den kleinen Säulen eingefaßten Darstellungen als Fundament dient. Nicht ohne Rührung vermag man die Darstellung der Verkündigung, Geburt, Taufe und Kreuzigung zu betrachten und die liebevolle Versenkung des Künstlers in die neue Aufgabe der Gestaltung und des Aufbaues von Reliefdarstellungen. Was am Taufstein in Freckenhorst zu klarer, tüchtiger Gestaltung kam, zeigt sich in einfachsten Vorstufen u. a. in Wattenscheid, Brenken, Metelen, Ramsdorf, Elsen und Coesfeld. Bestrebungen, den Taufstein in Wattenscheid zeitlicher höher hinauf zu datieren, möchte ich aus stilkritischen Gründen ablehnen.

 

Eine dritte Gruppe zeigt, wie die deutsche und in ihr auch die westfälische Plastik sich aus der byzantinischen Abhängigkeit wieder löst. Schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts macht sich ebenso wie in der Architektur auch in der Plastik ein neuer, frischer Lebenshauch bemerkbar, der das glanzvolle staufische Zeitalter heraufführt. Aus dieser Zeit stammen die Taufsteine in Brakel, Beckum und die beiden in Aplerbeck und B o c h u m. Der Taufstein in Beckum ist ein Oktogon und leitet so von der kreisrunden Form der Kufe, die in der romanischen Zeit gebräuchlich war, zur Gotik über, welche das Polygon, das Sechseck oder Achteck bevorzugt. Das innere Becken bleibt auch in der Gotik rund. Trotz großer Uebereinstimmungen der beiden Taufsteine finden sich doch auch erhebliche Abweichungen sowohl in der Verzierung wie auch in der Anordnung der Reliefs. Wenn man z. B. die Kreuzigungsgruppe herausnimmt, wird man unbedingt dem Bochumer Taufstein den höheren Wert erkennen in der seelischen Durchdringung und Erfassung des Gedankens.

 

Die vierte Gruppe entsteht dann in der Zeit des Uebergangstiles von 1200 – 1250. Ein herrlicher Vertreter der Plastik dieser Zeit, ein Werk, das bereits an die Großtaten dieses Jahrhunderts erinnert, ist der Taufstein in Brechten. Noch stehen einige der charaktervollen spätromanischen Kirchen im Dortmunder Bezirk, z. B. in Huckharde, die ein Beweis sind der großen Zeit, die mit der Wende des 12. Jahrhunderts beginnt und die auch auf dem flachen Lande zu verspüren ist. Zierwerk wie Figürliches an dem Taufstein in Brechten lassen auf einen ganz großen Künstler schließen, dessen Spuren nachzugehen sich verlohnte. Die Anmut der Gesichter, der individualisierte Ausdruck, ein sein empfundenes Aufbauschema, das Gestalten in der Gewandung lassen diese Bildnerei schon in die Nähe der Raumburger Gewandstatuen rücken. Die beiden Städte, die in unserer engeren Heimat eine hervorragende Stellung in der Kunst jener Zeit erringen, Soest und Dortmund, leiten dann mit einer Reihe bemerkenswerter Taufsteine in die neue Zeit der Kunst hinüber.

 

Nachdem wir so kurz den Taufstein der Kirche in Bochum eingegliedert haben in seine Abkunst, daß er uns nicht wie ein eraticher Stein erscheine, sondern als eine steinerne Urkunde seiner Zeit, heißt es jetzt noch mit einigen Worten auf seinen figürlichen Schmuck eingehen. Sicherlich hat auch er, wie seine Verwandten, auf einem Sockel gestanden, der die Form einer attischen Basis hatte. Dieser Sockel ist zerstört und nun durch einen Wulst ersetzt. Der zylinderische Schaft ist durch zwei Säulchen, die in ihrem Aufbau als jonische Säulchen überraschen, in zwei ungleiche Felder geteilt, von denen das erste die Dreikönigsszene bringt, nicht hieratisch, sondern genreartig, und das zweite als Mittelstück die Kreuzigung Christi, seitlich gefaßt von der Taufe im Jordan und dem Kindermord (oder dem salomonischen Urteil?). Den Abschluß bildet ein von Bandgewebe durchbrochener Palmblattfries, der von einem doppelten Perlstab ein gefaßt wird. Diese Textilien und stark aufs Lineare vereinfachten pflanzlichen Gebilde sind bezeichnend für das 12. Jahrhundert. In der lieblichen Darstellung der Erscheinung des Herrn ist bei den heiligen drei Königen das Schreitmotiv gewiß in sehr geschickter Weise beherrscht. Was den Figuren etwa an körperlicher Wirklichkeit fehlt, ersetzen sie durch einen Rhythmus der Bewegung, der wohlbedacht, sehr überzeugend wirkt. Dieselbe dramatische Auffassung herrscht in den anderen Reliefs, in denen die Annagelung von Händen und Füßen durch vier Schergen mit spitzen Judenhüten, die Schwerterhebung im Kindermord und der Taufakt stark mit Bewegungsbetanungen spielen.

 

Der Ideengehalt der Reliefs ist ein der mittelalterlichen Bildnerei geläufiger. In der Darstellung der Dreikönigsszene ging das Mittelalter schon seit dem 10. Jahrhundert über die Vorstellungen der altchristlichen Kunst hinaus. Im Codex Egberti erscheinen die Magier schon als Könige, und seit der Mitte des 10. Jahrhunderts tragen sie auch Kronen, so im Benediktionale von St. Aethelwold und im Menologium des heiligen Basilius.

 

Die genreartige Verhandlung dieser Szene beginnt im 10. Jahrhundert und ist an unserem Taufstein – man achte auf die stillfriedliche Auffassung des hl. Joseph und der Tiere – zu einem echten Sittenbild geworden.

 

Der Kindermord zu Bethlehem ist ein bereist in der altchristlichen Kunst beliebtes Thema und findet sich gleichmäßig unter den byzantinischen, wie kleinasiatischen als auch römischen Darstellungen der ersten Jahrhunderte. Die Rabulashandschrift aus dem Jahre 586 läßt den Kindermord durch das von den Soldaten erhobenen Schwert geschehen, worin die Miniaturen und die Darstellungen auf den Erztüren in Benevent, Pisa, Monreale folgen. Von dort drang die Darstellung in die Steinplastik der romanischen Kunst. Hier wie dort ist der Darstellung der Gedanke zugrunde gelegt, daß der König Herodes, auf einem Throne sitzend, der Tötung der Kinder beiwohnt.

 

Von besonderer Bedeutung ist auch die Kreuzigungsszene an dem Taufstein der Pfarrkirche in Bochum. Obwohl roh in seinen vielen Ueberschneidungen, ringt das Relief doch in den beiden Figuren Maria und Johannes nach einer seelischen Vertiefung der Szene. Die eindrucksvolle Geste des Schmerzes bei der Mutter des Herrn und der bedeutungsvolle Hinweis auf das Geheimnis durch den Sprechgestus bei Johannes lösen die Zusammenstellung aus der Starrheit, die ihr in früheren Bildwerken noch anhaftet. Der gewaltige Kreuznimbus ist auch ein guter Fingerzeig für die Entstehungszeit. Der Nimbus, der Heiligenschein, ist erst im 4. Jahrhundert aus der Antike übergegangen in die christliche Kunst und zwar zunächst auf Christus, abgeleitet von den Beamtenfiguren, deren Sprechgestus auch Vorbild wurde für die Segensgebärde. In der westlichen Kunst taucht der Nimbus erst im 6. Jahrhundert auf, hier bleibt der einfache Nimbus auch lange Zeit die Regel. Der mit dem Kreuz oder dem Monogramm gefüllte scheint mehr von den Griechen übernommen zu sein. Seit dem 11. Jahrhundert wird der Kreuznimbus allgemeiner. Die Gotik und vollends die Renaissance gestaltet ihn dann zur Dornenkrone.

 

So steht denn der Taufstein der katholischen Pfarrkirche in Bochum vor uns als ein rührendes Denkmal von der Wende des 12. Jahrhunderts. Ihn einzugliedern in eine bestimmte Schule kann, da in jener Epoche byzantinisches, karolingisches und unmittelbar orientalisches Kunstkleinwerk am gleichen Orte sich sammelte, leicht mißlingen. Die Forschung wird kaum weiter kommen, als die Vorbilder unserer heimischen Bildhauerkunst aufzusuchen und deren Herkunft nachzugehen. Leistet die Kleinmalerei des 11. und 12. Jahrhunderts in Deutschland bereits Erstaunliches, so bleibt die Plastik noch befangen in schwerfälligem Abmühen, bis dann das 13. Jahrhundert plötzlich eine plastische Kunst hervorbringt, die mit dem Besten sich messen kann, das unter südlicherem Himmelsstrich ein Jahrhundert später heranreiste. Steinbildwerke von der Art des Bochumer Taufsteines sind darum so bedeutungsvoll, weil sie das erste Ringen zeigen, das es die Deutschen gekostet hat, um aus einer angeborenen Formlosigkeit sich emporzuarbeiten und die deutsche Kunst zu jener freien und großen Kunst des 13. Jahrhunderts zu führen, „das in einem Glanze steht, der unauslöschlich ist.“

 

Impressum

(ohne Jahr, ca. 1928) Bochum Heimatbuch

 

Herausgegeben im Auftrag der Vereinigung für Heimatkunde von B. Kleff.

 

Verlag und Druck

Schürmann & Klagge

1. Band

 

An diesem Heimatbuche arbeiteten mit:

 

Staatsanwaltschaftsrat Dr. G. Höfken

Bergassessor Dr. P. Kukuk, Privatdozent an der Universität Münster

Rektor B. Kleff, Leiter des Städtischen Museums

Redakteur A. Peddinghaus

Redakteur F. Pierenkämper

Lehrer J. Sternemann

Studienrat Dr. G. Wefelscheid

Gustav Singerhoff

Wilma Weierhorn

sämtlich in Bochum

 

Die Federzeichnungen besorgte Graphiker Ewald Forzig

die Scherenschnitte Frl. E. Marrè / die Baumphotographien Ingenieur Aug. Nihuus

den übrigen Buchschmuck Druckereileiter Erich Brockmann

sämtlich in Bochum

 

(Zitierhinweis 2012)

Bernhard Kleff, Hg.: Bochum. Ein Heimatbuch. Bochum 1925. Bochumer Heimatbuch Bd. 1